Di. Apr 23rd, 2024

Berlin (ots) – Beschäftigte der Modeindustrie brauchen einen Lohn, von dem sie leben können. Das fordert die internationale Menschenrechtsinitiative Clean Clothes Campaign (CCC) seit langem. Doch alle großen Modehäuser zahlen bislang nur einen Bruchteil eines solchen living wage. Lange versteckten sich Adidas, Otto, H&M, Hugo Boss, Olymp, Zalando & Co hinter dem Argument, nicht zu wissen, wie hoch ein existenzsichernder Lohn überhaupt sein müsste. Diese Ausrede gilt jetzt nicht mehr: Die Clean Clothes Campaign hat zusammen mit den Textilarbeiterinnen und -arbeitern vor Ort einen existenzsichernden Lohn für europäische Billiglohnländer wie Rumänien oder die Ukraine errechnet. Damit hat auch die EU nun eine Basis, endlich ein Gesetz gegen miserable Mindestlöhne zu verabschieden.

Jedes vierte Kleidungsstück, das in Deutschland verkauft wird, stammt aus einer Textilfabrik in Ost- und Süd-Ost-Europa. Doch dort bekommen Näherinnen und Näher der großen Modemarken nur Hungerlöhne – und mitunter weniger als die Textilarbeitenden in Fernost. “Es gibt Tage, da haben wir nichts zu essen”, berichtete uns in der Ukraine eine Näherin, die für einen Lieferanten von Esprit und Gerry Weber arbeitet. Und eine junge Frau aus Kroatien, die für Hugo Boss fertigt, sagte: “Wenn Du krank bist, kannst Du Dich gleich erschießen – denn krank zu sein, können wir uns schlichtweg nicht leisten”.

Das belegen auch Zahlen der CCC: Selbst wenn sie den vor Ort gültigen Mindestlohn bekommen, bleiben viele der 2,3 Millionen Arbeiterinnen und Arbeiter der ost- und südosteuropäischen Modeindustrie arm. Doch vielerorts wird nicht einmal der gesetzliche Mindestlohn bezahlt. Beispiel Rumänien: In diesem EU-Mitgliedstaat verdient eine Näherin im Schnitt 208 Euro monatlich – 41 Euro weniger, als es das Gesetz vorsieht. Um davon leben zu können – also auch Geld für Miete und Urlaub zu haben – müsste sie jedoch 1.061 Euro verdienen. Nur mit einem solchen existenzsichernden Lohn können Familien ihre Grundbedürfnisse – also Ernährung, Kleidung, Wohnung, Mobilität, Hygiene, Kultur und Erholung – befriedigen oder Rücklagen bilden, mit denen sie etwa Lohnausfälle während der Pandemie überstehen. Diese Gehaltshöhe hat die Clean Clothes Campaign gemeinsam mit den Arbeiterinnen und Arbeitern vor Ort ausgerechnet. Herausgekommen ist ein grenzübergreifender Basis-Existenzlohn, der gleichwohl für jedes Land verschieden ist. So liegt er beispielsweise für Bulgarien bei 1.026 Euro, in Nordmazedonien bei 734 Euro oder in der Slowakei bei 1.558 Euro. Zum Vergleich: Im Schnitt liegt der Mindestlohn in diesen Ländern nur bei einem Viertel dieses Existenzlohnes.

Damit haben die Mode-Konzerne erstmals eine Orientierung, welche Löhne sie in den Kalkulationen mit ihren Zulieferfirmen berücksichtigen müssten. “Modehäuser haben jetzt für Europa einen konkreten Richtwert”, sagt Bettina Musiolek von der Clean Clothes Campaign; sie hat den Basis-Existenzlohn für Europa mitentwickelt. “Sie können sich nicht mehr darauf berufen, ja den im Land gültigen Mindestlohn zu bezahlen – der übrigens meist ein Hungerlohn ist.” Modekonzerne könnten sich auch nicht mehr hinter dem Argument verstecken, gar nicht zu wissen, wie hoch ein existenzsichernder Lohn denn sein müsse.

Der jetzt von der CCC vorgelegte Basisexistenzlohn könnte auch für das EU-Parlament eine wichtige Leitlinie sein. “Nicht nur die Modeunternehmen blockieren durch ihre Preispolitik vor Ort die Zahlung höherer Löhne – auch die EU hat durch Auflagen, verbunden mit Kreditvergaben an Osteuropa, die Setzung höherer Mindestlöhne behindert”, kritisiert Musiolek. Sie fordert von der EU, bei ihrem laufenden Gesetzgebungsverfahren für wirklich angemessene Mindestlöhne zu sorgen, die auch kontrolliert und effektiv umgesetzt werden.

Pressekontakt:

Dr. Bettina Musiolek, 0176 – 577 13 247, bettina.musiolek@einewelt-sachsen.de

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