In der Union hatte Österreichs Kanzler Sebastian Kurz viele Bewunderer, vor allem in der Post-Merkel-Generation. Doch langsam verblasst der Mythos vom Macher, der an alten Parteistrukturen vorbei nach oben prescht. Eine Analyse.
Bundeskanzlerin Angela Merkel kämpft nach den Bundestagswahlen 2017 mit der Regierungsbildung. “Jamaika” scheitert, im Januar steht die Union kurz davor, doch wieder mit den Sozialdemokraten über eine Große Koalition zu reden. Als Sebastian Kurz im Januar zum Antrittsbesuch nach Berlin kommt, hat er viele Fans in der Union. Und Merkel muss sich solche Fragen anhören: “Frau Bundeskanzlerin, es gibt in der Union begeisterte Anhänger des Bundeskanzlers in Österreich – jung, dynamisch, forsch, ungewöhnlich, er macht das alles anders. Ist das der Typus, der hier noch fehlt, aber kommen könnte?”
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Kurz versus Merkel
Bundeskanzlerin Merkel pariert die Frage der Korrespondentin Kristina Dunz auf ihre typisch trockene Art: “Also, der Bundeskanzler Österreichs ist jung, das ist nicht zu bestreiten. Und ansonsten arbeiten wir daran, dass wir gute Partner sind.”
Wichtig ist hier, was Merkel nicht sagt: Die Bundeskanzlerin weiß genau, woran sich die Begeisterung für Sebastian Kurz bei vielen in der Union festmacht. Es ist seine Position in der Flüchtlingspolitik. Schon als Außenminister kritisiert Kurz Merkels Politik im Sommer 2015 scharf. Er ist strikt gegen den Plan Merkels, Flüchtlinge in Europa zu verteilen. Innerhalb der österreichischen Regierung stellt er sich damit auch gegen den damaligen Bundeskanzler Werner Faymann von der SPÖ. Kurz positioniert sich als Fürsprecher von Grenzschließungen.
Für den Politikwissenschaftler und Redakteur der “Blätter”, Albrecht von Lucke, nutzt Sebastian Kurz die Zerrissenheit der Union geschickt aus. Er nennt es eine “kluge Strategie von Sebastian Kurz, die Schwäche von Merkel eiskalt zu erkennen und zur Selbstprofilierung zu nutzen”.
Kurz und die Fans in der Union
Kurz wird in der Flüchtlingsfrage in Europa einer der Gegenspieler der vermeintlich omnipotenten Kanzlerin Merkel. Zusammen mit den osteuropäischen Ländern – und Bayern. Sebastian Kurz stehe damals in Teilen der Union, vor allem in der CSU, für den Versuch, den Populismus zu zähmen – und trete dabei selbst als Populist auf, so Lucke: “Er wurde gewissermaßen zur Avantgarde eines erneuerten populistischen Konservatismus und es war ein regelrechter Pilgerzug nach Wien.”
Was Kurz den Konservativen in Deutschland vormacht, ist das Modell eines Politikers, der seinen Wählern verspricht, alles “anders” zu machen. Veränderung, Erneuerung – das findet Anhänger in einer Union, die nach vielen Jahren Merkel nach neuen Vorbildern sucht. Kurz biete da eine ideale Projektionsfläche, meint Lucke: “Weil diese Idee mitschwingt des jung-genialischen, des smarten, desjenigen, der die verknöcherten alten Parteien aufmischt, ihnen einen neuen Geist einschreibt.”
Bild von Kurz bekommt Risse
Dann beginnt die Corona-Krise. Kurz gehört zu den Regierungschefs in Europa, die früh auf Lockerungen setzen. Sein Bild in der Union bekommt Risse – vor allem in Bayern und der CSU. Ministerpräsident Markus Söder redet nicht um den heißen Brei herum: “Wir haben oft miteinander telefoniert in schwierigen Zeiten. Und da war nicht jedes Telefonat ein Honeymoon-Telefonat, das kann man, glaube ich, sagen.”
Das war vor einigen Wochen, als Kurz in München ist. Es geht um Grenzöffnungen. Und natürlich wird Kurz auch gefragt, ob er nicht lieber Söder statt Laschet als Kanzlerkandidat der Union gesehen hätte. Seine diplomatische Antwort, dass Österreich sich da nicht einmische, fällt nicht nach Söders Geschmack aus: “Na, hättest schon ein bisserl euphorischer sein können. Aber ok. Passt schon.”
Verhältnis zu Söder hat sich abgekühlt
Das hört sich an wie: “Passt eher nicht.” Aber trotz aller Unterschiede und Spannungen: Sebastian Kurz ähnelt in seinem politischen Stil dem bayerischen Ministerpräsidenten. Kurz bringt die Basis in Stellung, gründet darauf seinen Machtanspruch, seine Politik: Auf das, was die “Basis” will, gegen das sogenannte “Hinterzimmer”, gegen die Partei-Gremien. Albrecht von Lucke analysiert das so: “Sebastian Kurz hat insofern ein Rolemodel geliefert. Wie man mit Hilfe der Basis, mit Hilfe des Volkes, als Stimme des Volkes, als Volkstribun in der Lage ist, das Establishment einer Partei quasi zu überrumpeln und sich an die Spitze zu setzen.”
Wer verfolgt hat, wie Söder versucht hat, die Kanzlerkandidatur der Union für sich zu entscheiden, sieht sofort die Ähnlichkeiten. Gerade die Angst vor dem Modell Kurz führe dazu, so Lucke, “dass Wolfgang Schäuble das entscheidende warnende Wort sagte: ‘Wenn wir Markus Söder an die Spitze lassen, dann haben wir in Kürze eine Liste Söder.'”
An Sebastian Kurz scheiden sich die Geister der deutschen Konservativen – angesichts der jüngsten Skandale dürfte sich das sogar noch verstärken.
Quelle: BR24
Foto: Kurz im Parlament (© Parlamentsdirektion / Thomas Topf)