Fr. Apr 19th, 2024

München (ots) – Dr. Kira Vinke, Projektleiterin des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung, berät die SOS-Kinderdörfer in Klimafragen. In einem dreiteiligen Interview spricht die Wissenschaftlerin darüber, wie der Klimawandel zu Flucht und Armut weltweit beiträgt und was wir tun können, um ihn noch aufzuhalten.

SOS-Kinderdörfer: Laut einer Studie, die auch der Weltklimarat zitiert, könnte es 2050 weltweit 200 Millionen Klimaflüchtlinge geben. Warum werden so viele Menschen fliehen?

Vinke: Die Studie ist schon etwas älter und teils wegen einer unausgereiften Methodik umstritten. Es gibt eine kürzlich erschienene Weltbank-Studie, die in einem pessimistischen Szenario bis 2050 von etwa 140 Millionen Binnenvertriebenen in Subsahara-Afrika, Südasien und Südamerika ausgeht. Wenn man bedenkt, dass noch einige Weltregionen fehlen, sind die 200 Millionen von der Größenordnung her möglicherweise gar nicht so weit von der Realität entfernt.

Es gibt keine grundsätzliche Definition eines Klimamigranten. Aber wir sehen, dass der Migrationsdruck zunimmt – und dahinter steht oft auch ein sehr großer persönlicher Leidensdruck. Das ist unabhängig von allgemeinen Anziehungsfaktoren für Migration wie die Aussicht auf ein besseres Leben oder die Aussicht auf Sicherheit.

Ob diese Migration vollzogen werden kann und über welche Distanzen, hängt von vielen Umständen ab. Etwa davon, wie viel Geld mir als Migrant zur Verfügung steht. Oder: Bin ich körperlich in der Lage zu migrieren? Was sind meine sozialen Umstände? Bin ich frei? Zum Beispiel ist es für Frauen schwieriger, allein zu migrieren, weil sie oft sexueller Gewalt ausgesetzt sind, während es jungen Männern in vielen Gesellschaften eher möglich ist. Und natürlich geht es auch um Grenzpolitik, wenn nationale Grenzen überwunden werden müssen. Wenn der Migrationsdruck wächst, steigt das Leid an den Außengrenzen.

Da ist nun die Frage, wie wir darauf reagieren. Versuchen wir, diesen Migrationsdruck zu mindern? Nicht jeder möchte sein eigenes Zuhause verlassen; das ist nur eine Minderheit. Aber wenn ich vor die Wahl gestellt bin, mein Kind an Hunger sterben zu sehen oder mein Zuhause zu verlassen – dann entschließt sich wahrscheinlich die Mehrheit für Letzteres.

Wenn Sie sagen, es gibt einen internen Migrationsdruck, reden Sie dann von Binnenflucht, also dass diese Menschen tatsächlich im eigenen Land woanders Zuflucht suchen?

Vinke: Genau. Momentan beobachten wir, dass die Menschen, die aufgrund von Klimafolgen migrieren müssen, dies vor allem innerhalb ihrer Länder tun. Und das passiert aus den folgenden Gründen: Erstens können sie gar nicht so weit migrieren, weil ihnen die Voraussetzungen dafür fehlen. Zweitens möchten sie in ihrem Kulturkreis bleiben und ihre eigene Sprache sprechen. Eventuell wollen sie später in ihre Heimat zurückkehren. Der dritte Grund ist: Es gibt Grenzregime, die man nicht so einfach überwinden kann. Aber die anderen Punkte sind aus meiner Sicht schwerwiegender. Man sollte in Betracht ziehen, wer von diesen Naturkatastrophen hauptsächlich betroffen ist. Das sind vor allem Subsistenzbauern ohne finanzielle Reserven, die keinerlei Anpassungsmöglichkeiten haben. Dann die Fischer – also alle Menschen, deren Lebensgrundlagen direkt mit Ökosystemen verbunden sind. Sie stehen sozusagen in der ersten Reihe, aber ihre Mobilität ist oft eingeschränkt.

Es sind also vor allem Menschen, die wahrscheinlich schon am Existenzminimum leben oder die einfach jetzt schon Schwierigkeiten haben – teilweise klimabedingt, teilweise ökonomisch bedingt – ein gutes Leben zu führen?

Vinke: Ja, das sind marginalisierte Gruppen. Und da zeigt sich auch eine doppelte Ungerechtigkeit. So viele Menschen wurden von der globalisierten Industrialisierung und von deren Wohlstanderzeugung ausgeschlossen. Sie sind vielleicht Teil der Produktionskette, beispielsweise eine Näherin in Bangladesch, aber sie erzielen daraus keinen Gewinn. Die zweite Ungerechtigkeit ist nun, dass genau diese benachteiligten Menschen Opfer des Klimawandels werden, den sie nicht oder nur zu einem sehr geringen Teil mit verursachen.

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