Chiara fühlte die warmen Sonnenstrahlen auf ihrer Haut, trügerisch, verspielt, denn noch war der Sommer nicht da, und dennoch genoss sie es und atmete die herbe Morgenluft in vollen Zügen.
Es war ein seltsamer Drang gewesen, in der Frühe schon hierher zu kommen, ein Drang, den sie in letzter Zeit öfter verspürte. Friedliche Stille lag über dem Garten und dem Plateau mit der Staffelei. Mit zusammengezogenen Augenbrauen lauschte die blinde Malerin dem Vogelgezwitscher in den Bäumen, ein sanfter Windzug spielte mit ihren offenen braunen Haaren. So ruhig und harmonisch schien alles in diesem Moment. Langsam und mit einer Sicherheit, wie sie nur Menschen zuteil ist, die schon lange nicht mehr sehen können, griff sie nach einem Pinsel. Vor ihr auf dem kleinen Tisch neben der Staffelei waren die Farbtöpfe in ordentlicher Reihe nebeneinander aufgebaut. Doch noch wartete sie, das Gesicht mit der schmalen Nase witternd in die Luft erhoben, mit geschlossenen Augen.
Und plötzlich entstand ein Bild vor ihrem inneren Auge. Sie ließ es auf sich wirken, in jeder Facette. Dann nach geraumer Zeit nickte sie zustimmend mit dem Kopf und tauchte den Pinsel zielsicher in einen Topf mit roter Gouachefarbe. Pinselstrich um Pinselstrich übertrug sie das, was sie sah, auf die grundierte Leinwand. Chiara war in ihr Bild versunken.
Für kurze Zeit verdunkelte eine Wolke das Sonnenlicht, und die junge Künstlerin zog fröstelnd ihre Schultern hoch.
Sie arbeitete konzentriert und hörte auch nicht damit auf, als das Hausmädchen vor die Tür trat und zum Mittagessen rief. Sie wollte und musste die Inspiration jetzt nutzen.
Erst als sich Schritte näherten, hob sie zögernd den Kopf.
„Vater?”
„Ja, Chiara, ich wollte …” Die Worte erstarben auf seinen Lippen. Fassungslos schaute er auf die Leinwand. Es war
wieder diese seltsame Mauer dort unten mit dem Zeichen zu sehen, die seine Tochter schon einmal gemalt hatte.
Aber diesmal war das Bild mehr als beunruhigend. Etwas Dunkles durchbrach die Mauer von der anderen Seite, eine wabernde Masse, die etwas zutiefst Bedrohliches an sich hatte…
© Christine Erdiç
Printbuch:
Mystica Venezia
Christine Erdiç
Broschiert: 264 Seiten
Verlag: Karina-Verlag
ISBN: 978-3-9030-5670-1
Format: Kindle Edition
Dateigröße: 1524 KB
Seitenzahl der Print-Ausgabe: 218 Seiten
Gleichzeitige Verwendung von Geräten: Keine Einschränkung
Verlag: Karina Verlag (11. November 2015)
Verkauf durch: Amazon Media EU S.à r.l.
Sprache: Deutsch
ASIN: B017WMM7WW
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Verbesserter Schriftsatz: Nicht aktiviert
Weitere Bücher der Autorin:
Geschichten aus dem Reich der Hexen, Elfen und Kobolde, ISBN: 978-3-7357-9072-9
Nepomucks Abenteuer, ISBN: 978-3-9030-5618-3
Zauberhafte Gerichte aus der Koboldküche, ISBN: 978-3-7357-9215-0
Kleine Mutmachgeschichten, ISBN: 978-3-9030-5644-2
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Britta Kummer ist Autorin. Sie schreibt Kinder-, Jugend- und Kochbücher, wurde in Hagen geboren und wohnt heute in Ennepetal. Inzwischen ist auch ein Buch zum Thema MS auf dem Markt.
Ihr Buch „Willkommen zu Hause, Amy” wurde im Januar 2016 mit dem Daisy Book Award ausgezeichnet. Der Kärntner Lesekreis „Lesefuchs“ vergibt in unregelmäßigen Abständen diese Auszeichnung für gute Kinder- und Jugendliteratur.
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