Sie stellen rasche Abhilfe bei den verschiedensten Gesundheitsproblemen in Aussicht. Ob Schlafprobleme, Phobien, Trauer, Panikanfälle, Muskelkrämpfe oder Verspannungen: Benzodiazepine, allen voran die weitverbreitete Handelsmarke Valium, beheben das. Doch was auf kurze Sicht hilfreich ist, führt im Handumdrehen zu Komplikationen. Die Medikamente erzeugen binnen Wochen eine Abhängigkeit. Wer die Einnahme beenden möchte, wird oft mit schwerwiegenden Absetzerscheinungen konfrontiert. Die Symptome reichen von Angst und Beklemmung bis hin zu Halluzinationen und Selbstmordgedanken.
Suchtexperten empfehlen, Benzodiazepinpräparate nur in der niedrigsten wirksamen Dosierung und nur innerhalb genau definierter Zeitfenster einzunehmen, höchstens für 14 Tage. Die US-amerikanische Verbraucherschutzinitiative Public Citizen ist noch radikaler. Sie plädiert seit Langem für einen generellen Verzicht auf die umstrittenen Wirkstoffe. Aktuelle Forschungsergebnisse scheinen den Standpunkt der Skeptiker zu stützen: Senioren, die eines der in Frage stehenden Arzneimittel verwenden, weisen ein deutlich erhöhtes Demenzrisiko auf. Über Jahrzehnte hinweg fand der Verdacht, dass Valium & Co. die Dementzentwicklung fördern, nur geringe Beachtung. Früheren Forschungsarbeiten mangelte es aufgrund methodischer Schwächen oder inkonsistenter Daten an Aussagekraft, doch im September 2012 brachte eine Publikation im »British Medical Journal« Licht ins Dunkel. Sie lieferte die bislang schwerwiegendsten Hinweise, dass zwischen benzodiazepinhaltigen Medikamenten und Demenz ein kausaler Zusammenhang besteht.
Die Arbeit basiert auf der PAQUID-Kohortenstudie, die umfassende Beobachtungen an einer Gruppe von 3.777 Senioren über einen Zeitraum von zwei Jahrzehnten enthält. Das Forscherteam um Antoine Pariente (Université Victor Segalen de Bordeaux II) bildete im Studienverlauf mehrere Untergruppen aus einer Auswahl von 1.063 Patienten beiderlei Geschlechts, durchschnittlich 78,2 Jahre alt, die zu Beginn keine Demenzsymptome aufwiesen. 95 Probanden begannen im Laufe des Beobachtungszeitraums mit der Benzodiazepineinnahme. Insgesamt entwickelten 253 Teilnehmer eine Demenz. In der Benzodiazepingruppe lag der Anteil mit 32 % deutlich höher als in der Vergleichsgruppe (23 %).
Bei der Datenanalyse berücksichtigten die Wissenschaftler eine Vielzahl anderer Faktoren, die bei der Demenzentwicklung eine Rolle spielen, darunter Bildungsstand, Konsum von Alkohol, Diabetes und die Einnahme von Medikamenten. Darüber hinaus zogen sie in Betracht, wann im Verlauf des Beobachtungszeitraums die ersten Demenzsymptome auftraten. Bei Patienten, die schon früh (im vierten bis fünften Jahr) mit der Benzodiazepineinnahme begonnen haben, ist die Fallhäufigkeit um 60 % höher als in der Vergleichsgruppe. Der abschließende Nachweis, dass Benzodiazepine Demenz begünstigen oder auslösen, ist dadurch zwar noch immer nicht erbracht, doch die Indizienlage ist unbestreitbar. Die Durchführung einer prospektiven Studie, in der man den Teilnehmern Arzneimittel verabreicht, ohne dass sie aus therapeutischer Sicht indiziert sind, scheitert an den Grenzen der Ethik. Für das Forscherteam ist die Faktenlage ausreichend, um eine Neubewertung des Risikoprofils vorzunehmen.
Aktuell erhalten in Deutschland ca. 1,5 Millionen Patienten Benzodiazepine auf dauerhafter Basis auf Rezept, obwohl diese Mittel nicht für eine Langzeittherapie zugelassen ist. Die Folge: rund 1,2 Mio. Menschen sind, vorsichtigen Schätzungen zufolge, von den Medikamenten abhängig. Hinzu kommt eine unbekannte Zahl von Personen, die ihre Sucht über den Schwarzmarkt befriedigen. Wer etwa in einer Suchmaschine »Valium kaufen« eintippt, findet umgehend eine Vielzahl von Angeboten.
Laurel Tordai
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