Der verzauberte Strumpf
Es war einmal ein kleines Kobolddorf. Und in ihm wohnte ein vorwitziger Junge namens Nepomuck, der stets zu allerlei Unfug aufgelegt war. So vertauschte er eines Tages ganz geschickt die Eier des Sperlings mit den Eiern der Drossel. Ach, was gab das für ein Gezeter und Verdruss, als die Jungvögel dann endlich schlüpften. Man musste auf die Suche nach seinen eigenen Kindern gehen und die Kleinen wieder zurücktauschen. Die alte Eule aber schüttelte erbost den Kopf: Das war entschieden ein Streich zu viel!
Entschlossen machte sie sich auf den Weg zur Koboldhexe, die abseits des Dorfes in einer kleinen Hütte hauste.
„Nanu, was führt dich denn zu mir? Eine Eule könnte ich eigentlich noch gut gebrauchen zu meinem Papageien und der Katze. Du fällst zwar etwas aus der Farbe – hmm …“ Die Koboldhexe kratzte sich an ihrer langen Nase und dachte nach.
„Nein, Abraxa, ich bin gekommen, um etwas mit dir zu besprechen.“
Die Eule klagte der Hexe ihr Leid und sagte dann: „Wir müssen Nepomuck eine Lektion erteilen, bevor er den ganzen Wald durcheinanderbringt.“
Abraxa stieß ein meckerndes Lachen aus: „Der Junge gefällt mir! Aber ich wüsste da schon was!“ Vor den Augen der Eule baumelte auf einmal ein rot-grün gestreifter Strumpf in der Luft.
„Du willst Nepomuck mit einem Strumpf zur Vernunft bringen?“
„Kobolde lieben Socken“, kicherte die Alte und zeigte dabei einen einzelnen schwarzen Zahn, der ihr verblieben war. „Du wirst dieses schöne Stück mitnehmen und so platzieren, dass der Junge es auch findet. Alles andere wird sich zeigen. Vertrau mir!“
Also flog die Eule mit der Socke im Schnabel davon, legte sie sorgfältig auf einem Baumstumpf ab und wartete.
Es dauerte nicht lange bis Nepomuck fröhlich pfeifend vorbeikam und den Strumpf entdeckte.
„Komisch, ist ja nur einer! Wo wohl der andere ist? Aber egal, ich sammele ja ohnehin nur einzelne!“ Neugierig steckte er seine Nase in das begehrte Kleidungsstück.
Plötzlich gab es einen wirbelnden Sog, und der neugierige Kerl wurde ganz hineingezogen. Dann ging alles recht schnell. Als Nepomuck sich strampelnd zu befreien versuchte und endlich seinen Kopf wieder aus dem Strumpf stecken konnte, stellte er fest, dass er am Kamin der Hexe hing. Diese summte ein Lied und rührte dabei in einem großen Kessel.
„Hol mich herunter“, quäkte er zornig. Abraxa widmete sich ohne aufzusehen ihrer Suppe. „Was kochst du denn da?“, ertönte die Stimme wieder.
„Ich mache schon mal das Wasser für dich warm“, lautete die ruhige Antwort.
„Du willst mich kochen? Das ist doch wohl nicht dein Ernst!“, rief der Koboldjunge entsetzt. „Ich bin zäh und schmecke auch gar nicht!“ Verzweifelt strampelte er mit den Beinen.
Die Hexe grinste vergnügt: „Ach, hast du etwa Angst bekommen? Vielleicht will ich dich ja auch nur baden.“
Nepomuck verzog angewidert sein Gesicht: „Baden – das ist ja mindestens genauso schlimm! Außerdem werden meine Eltern schon nach mir suchen! Ich muss nach Hause! Die wissen doch gar nicht, wo ich bin!“
„Soso, du meinst also, sie machen sich Sorgen. Ich könnte ihnen ja ein anderes Koboldkind bringen. Was meinst du?“ Der kleine Kobold sah Abraxa verstört an, und Panik schwang in seiner Stimme: „Das ist doch nicht das Gleiche! Sie werden mich vermissen und trauern, sowie die andere Familie auch, der du das Kind wegnehmen willst!“
„So wie die Sperlinge und Drosseln getrauert haben, meinst du?“
Nepomuck erschrak: „Das habe ich ja gar nicht bedacht! Die armen Vogeleltern! Und ich hielt es für einen Spaß!“
Abraxa schüttelte den Kopf: „Nein, das war nicht lustig! Nepomuck, du musst nachdenken, bevor du etwas tust! Du musst dich vergewissern, dass niemand durch dein Handeln zu Schaden kommt. Versprichst du mir das?“
Der Koboldjunge nickte eifrig mit dem Kopf: „Versprochen, Abraxa!“
Die Hexe nahm den Strumpf vom Kamin und befreite den kleinen Kerl.
„So, nun lauf nach Hause!“ „Muss ich nicht baden?“ Nepomuck schielte noch immer etwas furchtsam zu dem Kessel hoch.
„Nein, ich will mir doch mein Süppchen nicht verderben!“
„Hast du vielleicht noch einen Keks für mich als Wegzehrung?“ Abraxa ergriff drohend ihren Besen: „Mach, dass du fortkommst, ehe ich es mir anders überlege! Und vergiss dein Versprechen nicht, sonst landest du doch noch im Kessel!“ Kichernd schaute sie dem davonstürmenden Jungen nach, bevor sie weiterrührte. Und wenn sie nicht gestorben ist, dann rührt sie wohl noch heute.
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©byChristine Erdic
Firmeninformation
Die deutsche Buchautorin Christine Erdic lebt zur Zeit hauptsächlich in der Türkei.
Beruflich unterrichtet sie in der Türkei Deutsch für Schüler (Nachhilfe), sie gab
Sprachtraining an der Uni und machte Übersetzungen für türkische Zeitungen.
Mehr Infos unter Meine Bücher- und Koboldecke
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