Eine Bremer Asylentscheiderin hat zu viele positive Entscheidungen gefällt. Aller Wahrscheinlichkeit nach nicht weil sie bestechlich war, sondern weil sie die Menschen und ihr Unglück über das Gesetz stellte. Und es soll noch mehr solche Fälle geben.
Ein Skandal rufen die Politiker, die Entscheiderin wird erst einmal vom Dienst frei gestellt, ihre Chefin wird zur Verantwortung gezogen und alle Entscheidungen der Bremer Außenstelle des BAMF der letzten Jahre sollen neu überprüft werden. Menschen, die sich in Sicherheit glaubten, weil ihr Asylantrag positiv entschieden wurde, finden sich nun plötzlich wieder in einer Situation, in der sie erneut Angst haben müssen vor der Zukunft, vor der Abschiebung, vor der Katastrophe ihres Lebens.
Aber ist es wirklich ein Skandal, wenn “zu viele” positive Entscheidungen getroffen werden? Ist der wahre Skandal denn nicht, dass überhaupt über Menschen entschieden wird, die bei uns Schutz suchen? Ist der wahre Skandal denn nicht, dass das Gesetz über dem Unglück der Menschen steht? Dass nach Paragrafen entschieden wird, wer Asyl bekommen darf, ganz egal welche Lebenskatastrophen diese Menschen zu uns geführt haben? Kann das Gesetz, darf das Gesetz die Menschlichkeit ersetzen? Und ist es einem anderen Menschen zumutbar, diese Entscheidungen zu treffen? Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen?
Schon lange bevor das Geschehen in der Bremer Außenstelle des BAMF ans Tageslicht kam, habe ich in dem Roman “Die Guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen – Die Asylentscheiderin” versucht den Zwiespalt zu untersuchen, in den ein Mensch gebracht wird, der über Asyl oder Abschiebung, wenn es hart auf hart kommt über Leben und Tod von Geflüchteten entscheiden muss.
(Roman, erschienen 2016, erhältlich im Buchhandel)
Leseprobe:
Seit Tagen hatte ich nicht mehr geschlafen. Sobald ich mich ins Bett legte und die Augen schloss, kamen sie zu mir. Weiße, braune, schwarze Gesichter. Frauen, Männer, Kinder. Alte und Junge. Ein Mann trug sein ertrunkenes Kind auf dem Arm, von dem das Wasser in mein Bett tropfte, eine Frau hielt mir ihr steifes, erfrorenes Baby hin, als ob sie es mir geben wollte. All diese Gestalten, all diese Menschen hatte ich ins Elend, wenn nicht sogar in den Tod geschickt, so schien es mir. Auch wenn sie nur schweigend um mich herumstanden, so glaubte ich doch zu hören:
“Du hast uns weggeschickt, du hast entschieden, dass wir gehen müssen. Zurück in ein Land, in dem wir nicht leben können. In dem sie uns nicht in Ruhe leben lassen.
In ein Land in dem wir nicht leben können, weil wir keine Arbeit haben, kein Haus, kein Essen für unsere Kinder. Weil die meisten so arm sind, dass es gerade mal zum Überleben reicht, aber nicht zum Leben. Und für manche noch nicht einmal dazu.
In ein Land, in dem sie uns nicht in Ruhe leben lassen. Weil wir Roma sind, weil wir lesbisch sind oder schwul oder transsexuell. Weil wir Frauen sind und deshalb ständig in Gefahr und ohne Möglichkeit, jemals unser eigenes, unabhängiges Leben zu leben.
Du hast entschieden, dass wir gehen müssen, weil es kein besonderes Gesetz in unserem Land gibt, das bestimmt, dass wir verfolgt werden für das, was wir sind. In ein Land, in dem es aber auch niemanden gibt, der unsere Unterdrückung verhindert.”
Ich drehte mich weg, aber auf der anderen Seite des Bettes standen sie auch. Obwohl da die Wand war, starrten mich auch von dieser Seite die Gesichter an und ich hörte ihre stummen Vorwürfe. Ich zog die Decke über den Kopf, wollte nichts mehr sehen und nichts mehr hören, wollte nur meine Ruhe haben und schlafen. Schlafen …
Aber auch in den Schlaf hinein verfolgten sie mich. Ob ich die Augen geöffnet oder geschlossen hatte, immer sah ich sie da stehen, sah ihre Blicke und hörte ihre Klagen gegen mich. Dann dämmerte ich weg und der Traum führte mich vor ein Tribunal. Ich war die Angeklagte, vor mir saßen mehrere Richter in ihren schwarzen Roben und blätterten in meinen Akten. Ich konnte genau sehen, dass dies von mir angelegte Akten waren. Schicksale, über die ich entschieden hatte oder über die ich noch entscheiden musste. Ich drehte mich um, weil ich es hinter mir raunen hörte und sah wieder ihre Gesichter. Weiße, braune, schwarze Gesichter. Alte Gesichter und junge, die schon fast genauso verbraucht und gezeichnet wirkten wie die der Älteren. Ich wollte aufstehen, versuchte verzweifelt von meinem Stuhl hochzukommen und erwachte, als es nicht gelang. Aber im Erwachen war keine Rettung, denn nun standen sie wieder um mein Bett herum und sahen mich an. Sahen mich an mit diesem verlorenen, diesem verzweifelten Blick, den ich in den letzten Monaten immer und immer wieder bei all den Menschen gesehen hatte, die vor mir in meinem Büro saßen, mit schwitzenden Händen, unruhigen Füßen und einem Geruch nach Angst, der mich nach jedem Interview das Fenster aufreißen ließ.
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