Beltane
Zwischen den Gläsern lugt ein schwarzes Haarbüschel hervor. Oma packt den zappelnden Kobold kurzerhand am Schopf und zieht ihn aus dem Regal. Nepomuck ist über und über mit Erdbeermarmelade beschmiert und leckt sich über die Lippen. „Du altes Schleckermäulchen!“, schimpft Großmutter verärgert. „Wolltest wohl die Gläser runter reißen, was?“ „Nein Oma“, beteuert der kleine Kobold ernsthaft, „ich wollte nur kosten.“ Großmutter ist zu Recht verärgert. Sie muss das Regal ausräumen und reinigen, und Nepomuck braucht auch ein Bad, so wie er ausschaut. Und das ausgerechnet an Beltane, auch Walpurgisnacht genannt.
Wir haben noch einiges vor heute, aber zunächst stecke ich Nepomuck in den Waschtrog, samt Klamotten. Alles klebt, echt klasse. Später sitzt er, in ein Handtuch gehüllt, auf dem Sofa und wartet darauf, dass seine Sachen in der Sonne trocknen. Er traut sich nicht zu frühstücken, weil das Handtuch dann verrutscht. Schließlich erbarmt Großmutter sich und reicht ihm seine alten Sachen, die er trug, als er bei uns ankam.
Nach dem Frühstück laufen die Vorbereitungen für Beltane auf Hochtouren. Oma bäckt Kuchen und Kekse, wir Kinder schmücken die Wohnung. Überall werden grüne und bunte Kerzen aufgestellt und die Vasen mit frischen Frühlingsblumen gefüllt. Beltane ist ein Frühlings- und Fruchtbarkeitsfest, anlässlich des Erwachens der Natur und stammt aus heidnischer Zeit. Besonders hier im Harz wird es noch immer ganz groß gefeiert, auch wenn viele Menschen die eigentliche Bedeutung des Festes nicht mehr wissen und in der Nacht zum ersten Mai vielerorts eine Art symbolische Hexenverbrennung durchführen.
Auf jeden Fall werden wir uns das Spektakel auch in diesem Jahr wieder ansehen. Am Nachmittag kommen unsere Eltern nach Hause. Jetzt wird es Zeit, sich zu verkleiden. Die Frauen gehen als Hexen und die Männer als Teufel. Nepomuck braucht keine Verkleidung, er kommt in ein Tragetuch, das Mutter sich um Schulter und Bauch bindet. Er fällt heute nicht auf und darf als das gehen, was er ist: nämlich als Waldkobold.
Wir packen noch selbstgemachte Limonade in den Fresskorb, und dann geht es auch schon los.
Wir picknicken gemütlich im Wald und gehen dann Richtung Stadt. Es sind nur wenige Leute zu Fuß unterwegs, die meisten reisen per Zug oder per Auto. Wir müssen fast zwei Stunden laufen und sind froh, frühzeitig losgegangen zu sein. In der Stadt ist ordentlich was los. Auf den Dächern der Häuser sitzen lebensgroße Hexenpuppen, alles ist festlich geschmückt, und die meisten Leute sind wie wir verkleidet. Am meisten staunt Nepomuck. Mit verzückten Augen knabbert er an einem Erdnussbutterkeks. So eine schön geschmückte Stadt hat er noch nie zuvor gesehen. Ich mache ein Foto für ihn zur Erinnerung. Wir kaufen an einem Stand Pommes und Bratwurst, denn nach dem Fußmarsch sind natürlich alle wieder hungrig. Nepomuck mag die Wurst nicht und verzieht angewidert das Gesicht: „Wie könnt ihr nur so was Ekliges essen?“, staunt er laut und begnügt sich damit, an den Pommes rum zu kauen. Dann ist er wieder mit Gucken beschäftigt. Es gibt ja so viel zu sehen. Zum Beispiel die kleine Eisenbahn, die mit Kindern besetzt durch die Straßen fährt. Natürlich wollen auch die Zwillinge damit fahren. Nepomuck bettelt so lange, bis ich ihn aus dem Tuch hole und mit ihm auf dem Arm ebenfalls einsteige. Nein, was kann der kleine Kerl sich freuen.
Wir bleiben in der Stadt, bis auf einem freien Platz ein großes Feuer entzündet wird. Kurz darauf brennt auch die Hexenpuppe in den Flammen. Jetzt heißt es zurück nach Hause. Aus Nepomucks Augen rollen zwei große Tränen. „Bist du traurig, weil wir nach Hause müssen?“, fragt Mutter. „Nein, nicht deswegen“, schnieft Nepomuck und schneuzt sich geräuschvoll in das Tragetuch. „Ich bin traurig, weil sie die Hexe verbrannt haben.“ Er sieht uns anklagend an. Mutter erklärt ihm, dass nur eine Puppe verbrannt wurde. „Früher, im Mittelalter, da wurden wirklich Menschen verbrannt, weil man sie für Hexen hielt“, erzählt sie. „Das war eine schlimme Zeit damals.“ Nepomuck schaut etwas ungläubig, und ich bin nicht sicher, ob er alles richtig verstanden hat.
Nach zwei Stunden sind wir wieder daheim und schreiben jeder unsere Wünsche auf einen kleinen Zettel. Dann zünden wir im Garten unser eigenes Beltanefeuer an und werfen die Zettel in die Flammen, damit sich unsere Wünsche in der Zukunft erfüllen. Das gefällt Nepomuck viel besser als die Hexenverbrennung, und bald sieht man den kleinen Kobold ausgelassen um das Feuer herumspringen.
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©byChristine Erdic
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Die deutsche Buchautorin Christine Erdic lebt zur Zeit hauptsächlich in der Türkei.
Beruflich unterrichtet sie in der Türkei Deutsch für Schüler (Nachhilfe), sie gab
Sprachtraining an der Uni und machte Übersetzungen für türkische Zeitungen.
Christine Erdic
35050 Izmir
Türkei
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