Sa. Okt 5th, 2024

 

Wie schon zuvor lädt Graf von Drachenfels auch in diesem Jahr zu Ostern ins Luhg Holiday ein. Jeder ist herzlich willkommen, egal ob Mensch, Werwolf, Ghul oder Vampir. Doch Vorsicht: Dieser Empfang ist nichts für schwache Nerven!

 

Leseprobe aus dem Buch „Luhg Holiday“:

Nach dem Essen zog mich Betty beiseite.

„Sabrina, ich habe gesehen, wie der Graf gegen Morgen im Keller verschwand. Wenn er wirklich ein Vampir ist, müsste er doch jetzt in seinem Sarg schlafen …“, sie zauderte, „meinst du, wir könnten mal ganz leise hinunterschleichen und nachsehen?“

Vorsichtig blickte sie sich nach allen Seiten um. Ich überlegte. Es war gefährlich. Was, wenn die Vampire gar nicht schliefen? Bei schlechtem Wetter waren sie oftmals tagsüber in der Halle anzutreffen. Andererseits – ich war so lange nicht mehr unten im Keller gewesen. Sollte ich eines der Ghulkinder ins Vertrauen ziehen? Doch die waren wie vom Erdboden verschluckt. Mich juckte es geradezu in den Fingern.

„Sabrina, ich lege mich ein wenig aufs Ohr, das wird eine lange Nacht für mich“, Dimitri hatte sich lautlos genähert und strich mir sanft übers Gesicht.

Betty schaute ihm verwirrt nach.

„Was meint er? Was ist denn heute Nacht? Wieder eine Show, wie letzte Woche?“

Ich schüttelte den Kopf:

„Nicht, dass ich wüsste. Also gut, warten wir, bis die Halle leer ist und verschwinden dann nach unten.“

Wir brauchten nicht viel Geduld. Eusebia und Gudrun verschwanden in der Küche, Konstanze und Jeremias fuhren zum Einkaufen, Erasmus war auf dem Sofa eingenickt und die Ghulkinder mit Yvonne und Dominique wahrscheinlich nach draußen verschwunden. Das Menschenehepaar war in ein Gespräch vertieft und beachtete uns nicht.

Vorsichtig bewegten wir uns auf die Kellertür zu. Sie quietschte ein wenig beim Öffnen. Es war gut, dass inzwischen vereinzelte Fackeln an den Wänden das alte Kellergewölbe schwach beleuchteten, denn natürlich hatten wir keine Taschenlampen dabei. Ab und zu huschte etwas an unseren Füßen vorbei. Betty unterdrückte einen spitzen Schrei, und ich sah sie warnend an. Da waren die Regale mit Konserven, noch immer hingen Würste und Schinken von der Decke herab, die alten Kisten mit Büchern, Schmuck und den Kostümen, die zu besonderen Anlässen hervorgeholt wurden. Was hatten wir für einen Spaß damals als Kinder, als wir hier auf Schatzsuche gingen. Weiter hinten, um die nächste Ecke herum, würde uns der Erdhaufen mit den eingebuddelten Vorräten der Ghule erwarten. Oh ja, ich kannte mich noch immer aus hier. Im Gegensatz zum Erdgeschoss hatte sich im Keller nicht viel verändert. Aber wo waren die Särge mit den Vampiren? Sollten die etwa nicht standesgemäß in den alten Kisten schlafen? Zur Probe öffnete ich eine, doch es befanden sich nur Bücher darin.

Plötzlich fiel mir der andere Gang ein, durch den wir in der Nacht der Aufführung gelaufen waren.

„Wir müssen zurück, Betty“, raunte ich und gab ihr einen kleinen Schubs. Verdutzt schaute sie mich an. Ihre Erinnerungen waren ausgelöscht, aber meine nicht.

Ich fand den Gang direkt neben den Regalen. Er wand sich leicht ansteigend zum Ausgang, der durch eine Tür verschlossen war. Und nun? Ratlos sah ich Betty an. Hier war nichts. Enttäuscht machten wir uns auf den Rückweg.

Betty trat auf etwas Weiches und schrie auf. Erschrocken hielt ich ihr die Hand vor den Mund.

„Eine Ratte“, wisperte sie entsetzt und schüttelte sich.

„Das kann gut sein, mach bloß keinen Lärm jetzt. Das arme Tier war bestimmt genauso erschrocken wie du. Schließlich bist du auf sie draufgetreten und nicht umgekehrt.“ Ich wollte mich abstützen, aber meine Hand griff ins Leere. Das heißt, der Vorhang, der den dahinter liegenden Raum vom Gang trennte, hielt meinem Gewicht nicht stand, und fast wäre ich gefallen. Staunend betraten wir eine unterirdische Halle, die nur von drei Fackeln an den Wänden schwach beleuchtet wurde.

Nebeneinander standen dreizehn Särge aus glänzendem schwarzem Holz. Einige waren geöffnet und mit rotem Samt ausgelegt. Fünf von ihnen waren jedoch geschlossen. Ich hielt den Atem an. Wir waren am Ziel.

„Soll ich?“ wisperte ich. Betty schüttelte panisch den Kopf. Typisch, dabei war sie es doch, die hierher kommen wollte. Entschlossen öffnete ich den Deckel des Sarges, der mir am nächsten stand.

„Schau nur, wie süß“, entfuhr es mir. Da lag Oliver in tiefem Schlummer auf Samt gebettet, und sein Haar leuchtete im Schein der Fackeln. Er hatte sich zur Seite gerollt und sein Daumen steckte noch im Mund. Vorsichtig schloss ich den Deckel wieder.

Betty war nun auch mutig geworden und öffnete den nächsten Deckel. Fasziniert beugten wir uns über den offenen Sarg. Auf dunkelblauer Seide lag der Graf von Drachenfels und schlief. Verzückt betrachtete meine Freundin sein markantes Gesicht.

In diesem Moment hörte ich ein Geräusch. Es war ein Rascheln, doch nicht das eines Nagetieres. Vorsichtig schlich ich hinüber und griff zu.

„Damien“, zischte ich verärgert und zerrte den Jungen hinter einem leeren Sarg hervor.

Betty fuhr zusammen und ließ den Sargdeckel fallen. RUMMMMS! Mit einem lauten Knall fiel der Deckel auf den Sarg zurück. Entsetzt sahen wir drei uns an.

„Nichts wie weg hier“, rief ich mit unterdrückter Stimme. Nicht auszudenken, wenn die Vampire nun aufwachten und uns verfolgten. Das Bild blutrünstiger Fledermäuse erschien vor meinen Augen.

 

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©byChristine Erdic

 

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Firmeninformation
Die deutsche Buchautorin Christine Erdic lebt zur Zeit hauptsächlich in der Türkei.
Beruflich unterrichtet sie in der Türkei Deutsch für Schüler (Nachhilfe), sie gab
Sprachtraining an der Uni und machte Übersetzungen für türkische Zeitungen.
Mehr Infos unter Meine Bücher- und Koboldecke
https://christineerdic.jimdofree.com/
https://literatur-reisetipps.blogspot.com/

 

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