Mal eben so auswandern? Einfach gesagt! Kurioses, Lustiges und Ernstes finden sich in diesem Buch, lebendig erzählt aus dem ganz alltäglichen Leben einer Auswanderin. Egal ob Schulanmeldung, Häuserbau oder ein Aufenthalt im Krankenhaus: In der Türkei schlagen die Uhren noch immer anders …
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Endstation Anatolien
Auswandern? Mit fast vierzig Jahren und zwei schulpflichtigen Töchtern? Und noch dazu in den Orient?
Christine Erdic hat es gewagt!
Das Morgenland lockt mit bunten Basaren, leuchtenden Farben, einem unvergleichlich blauen Himmel und geheimnisvollen mondbeschienenen Nächten. Doch wie ist das wirkliche Leben hinter dem Schleier der Illusionen?
Ein Buch, das das Leben schrieb!
ISBN-13 : 978-3752897111
Leseprobe
Die verknotete Schildkröte
Als ich wieder daheim in Izmir war, wurde es Zeit für ein neues Attest, damit ich die Blutdrucktabletten weiterhin von der Kasse bezahlt bekam. Diese Bescheinigung musste von einem Facharzt jährlich neu ausgestellt werden.
Der Arzt betrachtete mich prüfend. Dank der Tablette stimmten die Werte soweit. „Strecken Sie doch mal Ihre Hände aus“, forderte er mich auf. Ja, ich wusste, dass sie in letzter Zeit manchmal leicht zitterten. Stirnrunzelnd legte der Internist ein Blatt Papier auf meine Hände. Dieses fiel bebend zu Boden. „Sofort zum Ultraschall“, sagte er. Ich wechselte den Raum und musste mich auf eine Liege legen, dabei den Kopf weit zurücklehnen. „Oje, was machen wir denn nur mit Ihnen?“, klang es an mein Ohr. Natürlich konnte ich aus meiner Lage hinaus nicht zum Monitor schauen. Ich wurde unruhig mit meinem überdehnten Hals.
Als ich mich erheben durfte, fragte ich den Assistenzarzt, der das Gerät bedient hatte, was ich denn habe. Doch der sagte mir, darüber dürfe nur der Internist Auskunft geben. Der kam auch sogleich und betrachtete die Aufnahmen. „Sie haben alleine auf der linken Seite der Schilddrüse dreizehn Knoten“, stellte er fest. „Wir werden Sie zunächst mit Tabletten einstellen, aber um eine OP kommen wir nicht herum. Machen Sie einen Termin für eine Szintigraphie.“
Zu Hause machte ich mich im Internet schlau und beglückte meine Familienmitglieder in aller Ausführlichkeit mit Informationen über die Funktion der Schilddrüse und die Bedeutung der Knoten. Für mich war das jetzt nur noch meine „verknotete Schildkröte“, kam ich mir selbst doch plump und ungelenk wie eine solche vor.
Schon bald wurde die Szintigraphie durchgeführt, und der Internist bestellte meinen Mann und mich erneut ins Krankenhaus. Das Ergebnis war wohl alarmierend: die Schilddrüse wies heiße und kalte Knoten auf. Ich musste unverzüglich unters Messer, von Tabletteneistellung war plötzlich keine Rede mehr.
Wir entschieden uns für ein staatliches Krankenhaus, die ehemalige Lungenheilanstalt von Izmir, in einem großzügigen grünen Park gelegen. Dort arbeitete damals ein sehr guter Chırurg, hatte mein Mann herausgefunden. Die Anlage war imposant, aber total veraltet. Das Gebäude, in das ich eingewiesen wurde, war fast schon antik. Leider waren die Privatzimmer besetzt, und ich wurde in einen einfachen Raum eingewiesen, in dem drei Krankenbetten und ein Liegesessel standen. In einem Bett lag bereits ein junges Mädchen, dem eine Zyste entfernt werden musste. Begleitet wurde sie von ihrer Schwester, während mir meine Schwiegermutter zur Seite stehen sollte. Mit Entsetzen stellte ich fest, dass es nur ein Waschbecken im Gang und dahinter zwei Toiletten gab, eine für Männer und eine für Frauen. Es war alles sauber, aber waschen konnte man sich hier natürlich nicht. Ich fragte andere Patienten auf der Station, wie sie das machten. „Sobald ein Privatzimmer frei wird, gehen alle dort duschen“, bekam ich prompt zur Antwort.
Ich führte ein Gespräch mit dem operierenden Arzt, einem Mann mit hellen Haaren und blauen Augen und einem bezopften und bärtigen Anästhesisten, musste unterzeichnen und sollte noch am selben Tag operiert werden. Als ich an die Reihe kam, musste ich einen dunkelgrünen Anzug, bestehend aus Hose und Kittel, anziehen und zu Fuß den OP aufsuchen. Das war völlig anders als im städtischen Krankenhaus damals, wo man mich samt Bett durch den Gang gerollt hatte. Ich wunderte mich, wie unterschiedlich das hierzulande gehandhabt wurde. Vor der Tür tauschte ich meine Latschen gegen Gummischuhe, betrat den OP und musste mich auf die OP-Pritsche legen. Hier wurde ich angeschnallt und hatte nun genug Zeit, mir die OP- Lampe und das Drumherum anzuschauen. Zum Glück war es hier nicht so eisig, doch ängstliche Leute würden sicherlich Panik bekommen, wenn man sie festschnallte. Ich stellte mir meine Schwiegermutter in solch einer Situation vor und musste grinsen. Ein junger Mann mit Kittel nickte mir freundlich zu und gab mir eine Injektion.
Ich wurde erst in meinem Zimmer wieder wach. Schwiegermutter saß im Sessel, und die beiden Mädchen hatten es sich auf den Betten bequem gemacht. Bald darauf wurde das Mädchen mit der Zyste zur OP abgeholt.
Von unbeschreiblichem Lärm wurde ich erneut aus dem Schlaf gerissen. Auf dem Flur ging es zu wie im Taubenschlag. Angehörige der frisch Operierten belagerten den Raum, ließen die Tür offen stehen oder knallten sie laut zu. Ich versuchte zu sprechen – aber es ging noch nicht. Die größte Gefahr bei dieser OP ist, dass man die Stimmbänder verletzt, hatte ich gelesen. Ich bedeutete Schwiegermutter, doch bitte die Tür zu schließen, doch die hatte schon beim Aufstehen ihre Probleme mit den Kniegelenken. So stand ich selber auf und hielt dabei den Katheder, der mir vom Hals baumelte, mit einer Hand fest. Aufatmend machte ich die Tür zu und kroch zurück in mein Bett. Keine zwei Minuten später strömten neue Besucher ins Zimmer – die Tür stand weit offen. Ich gab es auf. Auch das würde vorbeigehen.
Am Nachmittag war Visite, und abends bekam ich meinen ersten Joghurt und etwas Saft. Für die Begleitpersonen gab es Brot, Eier und Tee. Sie mussten es sich allerdings selber vom Flur abholen. Nachts war es ruhig, aber Schwiegermutter konnte auf dem Sessel nicht schlafen. „Holt doch ein Bett aus dem Nebenraum“, krächzte ich mit mir fremder Stimme. Dort standen mehrere unbenutzte Betten auf Rädern, wie ich auf meinem Weg zur Toilette festgestellt hatte.
Doch Schwiegermutter und die Schwester der anderen Patientin beschlossen, sich das dritte Bett ganz einfach zu teilen.
Am nächsten Morgen war ich ziemlich fit und schmerzfrei, aber es lief noch immer Flüssigkeit aus der Wunde am Hals in den Behälter. Der OP-Arzt kam zur Visite. Nach dem Frühstück durfte die Zystenpatientin nach Hause.
„Sie behalte ich aber noch etwas hier. Ich schaue am Nachmittag wieder rein.“ Etwas enttäuscht sah ich den Arzt an. Nun hieß es warten. Mein Mann kam, um die Lage zu peilen und verschwand wieder.
Um 16 Uhr erschien der Arzt gemeinsam mit Hugo. Er entfernte den Katheder und schüttelte mir freundlich die Hand. „Sie dürfen gehen.“ Ich bekam noch einen Termin zur Nachuntersuchung, und das war es dann. Kurz und schmerzlos.
Es ging mir zunehmend besser, die Atemnot war wie weggeblasen und vernünftige Telefongespräche wurden wieder möglich. Fortan musste ich natürlich Tabletten nehmen, die die Schilddrüsenfunktion weitgehend ersetzten …
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©byChristine Erdic
Firmeninformation
Die deutsche Buchautorin Christine Erdic lebt zur Zeit hauptsächlich in der Türkei.
Beruflich unterrichtet sie in der Türkei Deutsch für Schüler (Nachhilfe), sie gab
Sprachtraining an der Uni und machte Übersetzungen für türkische Zeitungen.
Mehr Infos unter Meine Bücher- und Koboldecke
https://christineerdic.jimdofree.com/
https://literatur-reisetipps.blogspot.com/