Kinder sollen glücklich sein, egal welches Geschlecht sie haben und in welchem Land dieser Erde sie zu Hause sind. Mit diesen Geschichten, soll ihnen Mut gemacht werden.
Kleine Mutmachgeschichten
Für die Autorinnen Heidi Dahlsen, Christine Erdic, Britta Kummer und Karin Pfolz ist ein Kinderlachen das schönste Geschenk, aber sie wissen auch, dass dies schnell getrübt sein kann.
In diesem Buch finden sich liebevoll erzählte Geschichten die Kindern in schwierigen Situationen Mut machen können. Wie wichtig Freundschaft und Kameradschaft ist und das Erkennen von Gefahren, aber auch den eigenen Wert sehen und den Mut zum Helfen zu haben, sind Themen dieses Werkes.
Witzige, aber auch gefühlvolle Erlebnisse aus dem Leben, für Kinder die mutig und selbstsicher im Leben stehen wollen.
ISBN-13 : 978-3903056442
Leseprobe aus dem Buch
Bernas Traum
“Berna, mach schnell! Du musst noch die Eier einsammeln!” Das kleine Mädchen mit den langen geflochtenen Zöpfen sah sich unwillig um. Flink legte es das kleine Brüderchen, das es soeben mit frischen Stoffwindeln versorgt hatte, zurück in seine Wiege. Der kleine Ali ballte die dicken Händchen zu Fäusten und schrie seinen Protest laut hinaus. Sicherlich drückte da was. Aber keine Zeit…
“Mama, ich komme schon!” Berna lief flink durch die kleine Küche hinaus zum Hühnerverschlag. Im Laufen griff sie nach dem geflochtenen Korb. Dort würde sie gleich die Eier hineinsammeln. Wenn es genug waren, würden sie später welche davon am Wegesrand verkaufen. Nebenan molk die Mutter schon die beiden Ziegen. Es waren ihnen nur zwei geblieben und die Milch reichte kaum für die kleine Familie. Der Vater und der älteste Bruder Ahmet arbeiteten hart auf den Feldern eines reichen Großgrundbesitzers, dem sehr viel Land im Umkreis gehörte. Berna war das einzige Mädchen in der Familie und während ihr Zwillingsbruder Mehmet jetzt die Mittelstufe in der Schule im Nachbarort besuchen durfte, hatte der Vater Berna nach der fünften Klasse einfach nicht umgemeldet.
Das hatte zwei sehr einfache Gründe. Erstens war sie sowieso nur ein Mädchen und würde so schnell wie möglich verheiratet werden und zweitens brauchte die Mutter sie dringend als Arbeitskraft. Hier im kargen Südosten der Türkei war das ganz normal. Eigentlich gab es inzwischen eine Schulpflicht von 8 Jahren für alle und die Regierung hatte damit einen schweren Stand. Auch jetzt im Jahr 2012 waren wieder Lehrer und Beamte in den Dörfern unterwegs, um den Bauern und Landarbeitern klar zu machen, dass auch für Mädchen eine Ausbildung heutzutage sehr wichtig ist.
Der Erfolg war nur mäßig, denn die Familien hier unten waren arm, die versprochene Unterstützung des Staates ein Tropfen auf den heißen Stein und man hielt noch sehr an alten Traditionen fest.
“Berna, deine Mutter ist gar nicht zur Schule gegangen und ich nur 5 Jahre, so war damals die Pflichtzeit. Ich weiß gar nicht, warum sie das geändert haben. Und arbeite ich vielleicht weniger als jemand mit mehr Schulbildung? Ist deine Mutter ein schlechterer Mensch, nur weil sie nicht lesen und schreiben kann? Glaub mir, dem Gemüse im Garten ist es egal, ob es jemand erntet, der rechnen kann oder nicht.” Der Vater, der nur selten zu Hause war, seufzte und setzte sich müde an den Tisch, auf dem das Abendbrot stand. Eine dünne Suppe und Brot. Zu mehr reichte es nur selten. Wie gern würde er seiner Familie ein besseres Leben bieten. Aber es gab andere, denen es weitaus schlechter ging, tröstete er sich dann. Sie hatten zu essen und ein Dach über dem Kopf, die Kinder waren gesund und kräftig. Man musste zufrieden sein mit dem, was man besaß
Berna hätte vieles darauf zu sagen gewusst. Doch sie blieb stumm. Es gehörte sich nicht, dem Reis, dem Familienoberhaupt zu widersprechen.
Alles was sie nicht aussprach, setzte sich in ihren Gedanken fest. Und wenn sie abends auf dem Türtritt saß, dann schaute sie oft zum Himmel empor und schickte ihre geheimsten Wünsche auf die Reise zu den Sternen. Wünsche, die sie nie laut auszusprechen wagte. Oh ja, sie wusste aus dem Fernsehen, dass die Mädchen in den Großstädten der Türkei genauso wie die Buben zur Schule gingen und sogar studierten. Auch in den modernen Dörfern der Westtürkei hatte man verstanden, dass Schulbildung wichtig war. Doch Schulbildung war teuer. Die Bücher, die Uniformen, das Fahrgeld…
‘Ach Vater’, dachte Berna traurig,‘ wenn du eine bessere Schulausbildung gehabt hättest, müsstest du heute nicht dein Brot auf fremden Feldern verdienen und ich könnte vielleicht weiter zur Schule gehen.’
“Träum nicht”, sagte die Mutter. “Erledige lieber den Abwasch bevor dein Bruder heimkommt.”
Mehmet, der Glückliche! Er durfte lernen, denn er musste später einmal den Unterhalt für seine eigene Familie verdienen.
Mehmet kam und schleuderte die Schultasche wütend zu Boden.
“War das heute wieder nervig. Sch…Mathe. Du hast es gut! Musst dich nicht damit rumquälen, Berna!”
Berna seufzte und hob schnell den Ranzen auf. Wenn das die Mutter sah!
“Zeig mir mal, was ihr in Mathe macht”, sagte sie dann und bald saßen Bruder und Schwester einträchtig über den Büchern. Was Mehmet nicht verstand, erklärte Berna ihm. Geduldig. So ging es Tag für Tag und Woche für Woche. Und so blieb Berna immer auf dem Laufenden, auch in Geschichte, Geografie, Türkisch und Englisch. Die Mutter sah darüber hinweg, sie hätte ihrem Sohn selbst nicht helfen können und wenn es um ihn ging, dann war es in Ordnung, dass Berna andere Arbeiten vernachlässigte. Er war schließlich die Hoffnung der Familie. Ahmet war seinerzeit ein Meister im Schule schwänzen gewesen und so standen ihm nur die Felder des Großgrundbesitzers offen.
Mehmet war jetzt 12 Jahre alt und wenn er seinen Grips ein bisschen anstrengte, konnte er es durchaus zu etwas bringen.
Eines Spätnachmittags, die Mutter erntete gerade Gemüse im hinteren Garten, klopfte es an der Tür.
Berna öffnete, den kleinen Ali auf dem Arm. Es war Mehmets Lehrer vom Nachbarsdorf, Berna kannte ihn vom Sehen.
“Guten Tag mein Lehrer”, sagte sie höflich und bat ihn herein. Dann eilte sie in den Gemüsegarten, um die Mutter zu rufen.
Nach der Begrüßung, einem allgemeinen Austausch, wie es allen geht und dem gemeinsamen Tee fragte der Lehrer:
“Wo ist denn Mehmet?”
“Er ist noch in der Schule”, antwortete die Mutter.
“Nein, da ist er nicht. Er kommt schon seit ein paar Tagen nicht mehr in den Unterricht. Das ist auch der eigentliche Grund meines Besuches.”
Die Mutter wurde blass und Berna schaute den Lehrer mit offenem Mund an.
“Aber, wo ist er denn dann? Wir haben doch immer seine Hausaufgaben gemeinsam gemacht, sogar gestern Abend noch”, entfuhr es ihr.
“Er wird sich irgendwo da draußen rumtreiben. Der Unterricht hat ihm noch nie Spaß gemacht, er hat kein Interesse daran, etwas zu lernen, leider”, seufzte der Lehrer.
Dann sagte er streng zur Mutter:
“Wie ich sehe, haben sie noch ein schulpflichtiges Kind im Haus.”
“Mehmet und Berna sind Zwillinge, aber…”
“Aber Berna ist nur ein Mädchen, nicht wahr? Sie wissen, dass Sie sich strafbar machen, wenn sie Berna nicht zur Schule schicken?”
“Würdest du gern zur Schule gehen Berna?”, fragte er das Mädchen freundlich. Berna zögerte. Die Mutter warf ihr warnende Blicke zu.
Da fasste sie sich ein Herz, der noch recht junge Lehrer war so nett und flößte ihr Vertrauen ein.
“Oh ja, so gern. Es ist mein Traum. Ich möchte später einmal Lehrerin werden und nicht auf Babys aufpassen müssen oder auf den Feldern arbeiten”, sagte sie leise und sah dem Lehrer dabei fest in die Augen.
“Berna”, sagte die Mutter warnend.
“Nein, lassen Sie nur”, sagte der Lehrer. “Unser Land braucht Menschen wie Ihre Tochter. Sie sollten stolz auf sie sein! Wie ich höre, hat sie ja bereits Ihrem Sohn bei den Hausaufgaben geholfen und ich habe mich gewundert, dass er immer alles richtig hatte, wo er doch nie aufpasst im Unterricht.”
Schmunzelnd sah er Berna an:
“Ich glaube nicht, dass du große Wissenslücken hast, trotz der bisher versäumten Schulmonate. Du könntest also mit Mehmet in die gleiche Klasse gehen. Wer weiß, vielleicht reißt du ihn ja mit und er bekommt doch noch Freude am Lernen.”
“Das kann ich nicht allein entscheiden. Mein Mann..”
“Sagen Sie Ihrem Mann, er soll mich aufsuchen, sobald er wieder im Dorf ist und seine Tochter in der Schule anmelden.” Er legte Berna den Arm um die Schulter und sah sich in dem kleinen baufälligen Häuschen um.
“Machen Sie sich um das Finanzielle keine Sorgen. Bei Bedarf wird die Kreisstadt alles Nötige in die Wege leiten, um ihre Familie zu unterstützen.”
Die Tür ging auf und Mehmet stürmte herein. Verdutzt blieb er stehen und lief dann rot an.
“Na du Schlingel, da bist du ja”, sagte der Lehrer und zog ihm kräftig am Ohr. Doch er schaute nicht ganz so streng, wie Mehmet erleichtert feststellte.
“Was würdest du dazu sagen, wenn Berna fortan die Schulbank neben dir drückt, junger Mann?”
Mehmet machte einen Luftsprung vor Freude.
“So wie früher in der Grundschule? Das wär fein! Dann würde es auch wieder mehr Spaß machen. Sie hilft mir ja, wenn ich was nicht weiß. Machst du doch, Berna oder?” Hilfesuchend sah er seine Schwester an.
Die stieß ihm freundschaftlich den Ellenbogen in die Seite und lachte.
“Na klar, schließlich werde ich doch eh einmal Lehrerin und du bist mein erstes Versuchsobjekt.”
Am Abend saß Berna noch lange vor der Tür und sah zum glitzernden Sternenhimmel empor, der sich über die weite Steppe Anatoliens spannte. Und als einem Funken gleich eine Sternschnuppe vom Himmel fiel, da wusste sie, dass ihr größter Traum in Erfüllung gehen würde.
©byChristine Erdic
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Firmeninformation
Die deutsche Buchautorin Christine Erdic lebt zur Zeit hauptsächlich in der Türkei.
Beruflich unterrichtet sie in der Türkei Deutsch für Schüler (Nachhilfe), sie gab
Sprachtraining an der Uni und machte Übersetzungen für türkische Zeitungen.
Mehr Infos unter Meine Bücher- und Koboldecke
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