Ich führte ein ganz normales Leben. Eigentlich. Meistens. Ich stand morgens auf, wie jeder andere Mensch. Unausgeschlafen und mit einem Harndrang, der mich auf die Toilette wandern ließ, schlaftrunken und missmutig. Beim Wasserlassen atmete ich nochmals durch und ließ mich kurz wieder in die morgendliche Trance zurückfallen. Langsam änderte sich dann regelmäßig mein Körperempfinden, das mich von der Erinnerung an die wohlige Bettwärme zur ersten Bewegung der Arme – ich streckte sie immer hoch über den Kopf – führte.
Und dann stand ich im kalten und steril anmutenden Bad und ich fühlte mich noch immer nicht wohl im neuen Tag, der gerade zum Leben erwachte, wie eigentlich jeder Tag, nicht anders als der vorherige und wahrscheinlich auch nicht anders als der nächste Tag. Ich war kein Morgenmensch, nein, definitiv nicht, ich hasste es, aufzuwachen und die Sorgen des Vortages, die ich für eine zu kurze Nacht wie eine Armbanduhr auf meinen Kasten legte, wieder in mein Gehirn eindringen zu fühlen, ich hasste es aufzustehen, mich zu waschen, ich hasste es, meine Zähne zu putzen und ich hasste es, mich am Morgen unter die Dusche zu stellen. Ich hasste einfach alles am Morgen, nicht nur den schaudernden Blick einer Frau in den morgendlichen Spiegel, der einem die Wahrheit so ungeschminkt und grausam an den Kopf warf, wie es vielleicht sonst nur ein Tierarzt oder ein Zahnarzt konnte, wenn er scheinbar gleichgültig seinem Patienten, sei es nun ein krankes Kalb oder ein ängstlicher Mann mit fürchterlichen Zahnschmerzen, eine Spritze verabreichte, also ohne mit der Wimper zu zucken einen Schmerz zufügte, kühl, gefühllos und direkt. Ich hasste mein ungepflegtes Spiegelbild jeden Morgen aufs Neue und ich wunderte mich immer wieder, warum Männer überhaupt Frauen begehren, wenn diese doch, so wie ich an diesem und eigentlich an jedem Morgen, nicht viel besser aussahen als ein welker Obstbaum im späten Winter, ausgelaugt, unattraktiv und kaum wert betrachtet, geschweige denn begehrt zu werden. Ich verstand vieles nicht, aber am allerwenigsten verstand ich die Duraki , diese dumme Spezies von Männern, bei denen ich nie wusste, warum sie eine Frau attraktiv fanden und warum nicht, jedenfalls spielten ganz offensichtlich so viele Faktoren eine Rolle und ich versuchte immer wieder dahinterzukommen, aber ich scheiterte meist daran. Und vielleicht prägte das auch meine Beziehungen, die ich hatte, nicht nur mit diesem Kabjel, diesem Hund, also dem verdammten Vater meiner Kinder, nein, auch mit all den verfickten Hujs, den schwanzgesteuerten Draufgängern, die mir letztlich nur zeigten, dass Mann und Frau nicht füreinander geschaffen sind, auch wenn es immer anders behauptet wurde, und die mir zeigten, dass es für mich das Beste war, keine Partnerschaft zu haben, keinen Ehemann, keinen Freund, keinen Liebhaber, sondern bestenfalls einen Schtschenok, der mich fickte, der meine Lust, die ich an manchen Tagen spürte, auf Abruf, auf Knopfdruck erfüllen konnte, ja, das reichte mir aus, das machte mich zwar nicht glücklich, aber zumindest auch nicht unglücklich und meine sexuelle Begierde war gestillt, was nicht schlecht war.
Nach den verhassten ersten morgendlichen Gedanken, in denen ich die Realität wahrnahm und nach denen ich langsam, aber sicher alle mentalen Abwehrmechanismen und Rechtfertigungsgedanken gegen meine Sorgen, die ich wie die bereits erwähnte Armbanduhr umschnallte, in Stellung brachte, nach diesen Gedanken begannen die helleren Momente, nein, nicht nur hellere Momente, sondern wirklich helle Momente wie sie nur eine Mutter haben kann. Meine Deti, meine Lieben. Meistens schliefen sie noch, meine zwei kleinen Wunder. Ich nannte sie Wunder, Jelena und Irina, meine kleinen Töchter, die wohl jeder Mensch auf der Welt als »Wunder« bezeichnen würde, dürfte er sie am Morgen sanft aufwecken, dürfte er die langsam aus dem Schlaf erwachenden, kleinen Kindergesichter sehen, dürfte er die Augenlider sehen, die ganz langsam aufgingen und das grelle Licht in ihre Augen vordringen ließen, dürfte er das langsame, unschuldige Lachen erkennen, das von meinen kleinen, kostbaren Schätzen ausging. Eigentlich wurde ich erst mit dem Erwachen meiner Kinder munter und meine Psyche änderte ihren depressiven Stand-by-Modus sehr rasch in einen hellen, vielleicht orange oder gelb wirkenden, stimmungshebenden Aktiv-Modus, ja, ich wollte diesen Modus, dieses Tempo, diese Temperatur erreichen, da fühlte ich mich wohl und meine morgendliche, schlaftrunkene Depression wich einer Freude und einer lieblichen, mütterlichen Verantwortung, die ich für diese beiden kleinen Mädchen empfand. Jelena, der Name meiner Mutter, den ich für meine ältere Tochter wählte, und Irina, der Name meiner Tante, den ich für meine jüngere wählte.
© Wolfgang Rachbauer
Buchbeschreibung:
Nadja wächst im Russland der Zukunft auf, liebt ihre zwei Deti, ist geschieden und arbeitet als wenig erfolgreiche Journalistin. Ihr Charakter ist geprägt von Trotz, vom täglichen Kampf mit ihrem Leben und von der derben Sprache des Russkij Mat.
Auf der Rückreise von einem beruflichen Termin in Kasachstan findet man in Nadjas Auto Drogen. Sie wird verhört und die russischen Behörden unterbreiten ihr ein unmoralisches Angebot. Damit beginnt eine albtraumhafte Reise – gleichermaßen in die Vergangenheit und in eine unvorstellbar grausame Zukunft.
In seinem zweiten Roman beschreibt der Autor eine Welt, in der sich Zeit und Raum auflösen und die Gedanken nicht mehr frei sind. Eine Dystopie voller Hoffnung und Verzweiflung, eine Erzählung über die grenzenlose Liebe, über die schicksalhafte Unausweichlichkeit und über ANXT.
Mit russisch/deutschem Glossar und ausführlichen Autorenkommentaren über die Hintergründe des Romans.
ISBN-10: 3967241777
ISBN-13: 978-3967241778
Auch als E-Book erhältlich!
Zum Buch geht es hier:
https://www.karinaverlag.at/products/das-artemis-projekt-boderline-killig-von-wolfgang-rachbauer/
Bild © mit freundlicher Genehmigung von Martin Urbanek, Spaß und Lernen
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Firmeninformation:
Britta Kummer ist Autorin. Sie schreibt Kinder-, Jugend- und Kochbücher, wurde in Hagen geboren und wohnt heute in Ennepetal.
Zusätzlich gibt es auch zwei Bücher zum Thema MS. Diese sind aber keine Fachbücher über die Krankheit MS (Multiple Sklerose), sondern die MS-Geschichte der Autorin.
Ihr Buch „Willkommen zu Hause, Amy” wurde im Januar 2016 mit dem Daisy Book Award ausgezeichnet. Der Kärntner Lesekreis „Lesefuchs“ vergibt in unregelmäßigen Abständen diese Auszeichnung für gute Kinder- und Jugendliteratur.
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