Kleine Hindernisse sind wir ja gewohnt, das geht doch alles vorbei! Nehmen wir es einfach mit Humor!
Schaffe, schaffe, Häusle baue
Wir hatten geschaffen – sprich gearbeitet und bezahlt, das Häusle bauten andere. Die Kooperative hatte damals einen Kontrolleur aus den eigenen Reihen eingesetzt. Da es sich aber um 92 über das Baugebiet verstreute Reihenhäuser handelte, war das gar nicht so einfach. Früher gab es hier nur Wald und Olivenbäume. Die Bauarbeiter für unsere Kooperative kamen damals als billige aber ungeschulte Hilfskräfte oftmals aus dem Osten des Landes – einige übten solch eine Tätigkeit anscheinend zum ersten Mal aus und kamen wohl frisch von den heimatlichen Feldern. Große Bauunternehmen agierten natürlich anders, sonst wären die hohen Häuser wahrscheinlich schon beim ersten Erdbeben eingestürzt. Tatsache ist, dass wir zwar ein sehr solides Fundament haben – bei der Gartenarbeit stieß der Spaten sofort auf Felsen, und wir mussten haufenweise Erde ankarren – und dass das Betongerüst stabil ist. Allerdings hatte man sich beim Bau gründlich vermessen, und so war die Stubendecke unseres Hexenhäuschen – wie ich es nenne – links 13 Zentimeter niedriger als rechts. Wer Harry Potter gesehen hat, weiß, wovon ich spreche: Das grün getünchte Haus mit den schönen Erkern war unser ganz persönlicher Fuchsbau.
Der Spuk sollte dann auch bald beginnen! Vorerst standen wir aber noch in der Wohnhalle und versuchten uns einen Weg in die dahintergelegene Küche zu bahnen. Das Haus ist schmal, aber lang, im amerikanischen Stil gebaut. Direkt nach dem kleinen Vorgarten kommt die damals noch nicht ganz überdachte Terrasse mit der Eingangstür, die in den etwas dunklen Salon führt – einen Flur gibt es nicht. Genau gegenüber der Tür führt eine Treppe in den ersten Stock mit den drei Zimmern, Waschmaschinenraum und Bad. Auch das Schlafzimmer hatte damals noch ein eigenes Duschbad, das jedoch nicht benutzbar war, da die Ecke keinen geraden Winkel hatte, sodass man das zugehörige Becken gar nicht erst einbauen konnte. Kurzerhand funktionierten wir das Bad zu einem Abstellraum mit Schränken für wenig genutzte Klamotten und meine Mal- und Bastelsachen um. Vom Salon – besser gesagt der Wohnhalle – gehen zwei Türen ab, eine führt zu einem schrägen, unter der Treppe gelegenen Abstellraum, der mir inzwischen als Speisekammer dient, und die andere zum Gäste – WC. Geradeaus kommt man durch einen offenen Durchgang in die Küche. Durch eine Außentür gelangt man von dort auf die hintere Terrasse sowie in einen kleinen Innengarten, der an die Gärten der nebenan und gegenüberliegenden Häuser grenzt. Im Dachgeschoss befindet sich ein geräumiges Gästezimmer mit Bad und geschlossenen Abstellplätzen zu beiden Seiten unter den Dachschrägen, die sogleich zu Rumpelkammern umfunktioniert wurden. Da die türkischen Dächer sehr niedrig sind, kann man sich dort allerdings nur in gebückter Stellung oder auf allen Vieren kriechend bewegen.
Das Dach sollte uns noch erhebliche Probleme bereiten! Als das Nachbarhaus damals im Rohbau war und wir einmal dort hinaufstiegen, stellten wir entsetzt fest, dass unserem Dach an mehreren Stellen halbe Ziegel fehlten. Natürlich reklamierten wir, bevor wir damals nach Deutschland zurück mussten, und hofften nun bei Einzug, dass alles in bester Ordnung sei.
Wie sehr wir uns irrten, stellten wir beim ersten Regen im Spätherbst fest! Gemeinsam mit den Kindern kniete ich mit Eimern und Tüchern bewaffnet unter der Dachschräge, um das Schlimmste zu verhindern. Wir hatten ganze Seen aufzuwischen, und das Wasser stürzte weiterhin erbarmungslos vom Himmel. Wenn es in Izmir regnet, dann aber richtig! Bei jedem Regen gab es Probleme, einmal rauschte das Wasser die Treppe hinunter bis in den ersten Stock. Mehrere Stellen im Dach waren undicht. Es half alles nichts, die Dachdecker mussten kommen! Doch auch danach bestand das Problem weiterhin bei jedem starken Regen. Nachdem wir dreimal für erfolglose Dachreparaturen bezahlt hatten, stieg mein Mann schließlich selbst hinauf. Dabei stellte er fest, dass Ziegelsteine nicht richtig lagen oder zerbrochen waren und sich darunter – auch nur teilweise – morsche Planen befanden. Jahre später tauschte er diese mit Hilfe eines Freundes komplett gegen Onduline-Platten aus. Ganz behoben sind die Mängel zwar auch heute noch nicht, aber jetzt tropft es wenigstens nur noch selten in Nähe der Bodenfenster durch. Es ist uns ein Rätsel, wo das Wasser noch eindringen kann. Jedes Mal versichert mein Mann triumphierend: „Ha! Ich habe die Stelle gefunden. Nun ist es endgültig dicht!“ Sieger bleibt das Wasser, es bahnt sich seinen Weg. Erker, Schornsteine und Lüftungsschächte sind Schwachstellen in einem Land, in dem es anscheinend nur wenige Dachdecker gibt, die ihr Handwerk wirklich verstehen. Nach jedem Regen sehe ich Nachbarn kopfschüttelnd auf ihren Dächern stehen und Ziegelsteine austauschen. Eines Tages wird das marode Dach komplett erneuert werden müssen. Da kommen Kosten auf uns zu!
Hugo war noch mit dem Einbau der aus Deutschland mitgebrachten Einbauküche beschäftigt. Auch das war ein Problem, da zuvor verkehrt ausgemessen wurde, sodass die Arbeitsplatte mit einer Stichsäge um 10 Zentimeter verkürzt werden musste. Mein Mann ist sehr pedantisch und misst alles genau nach, den Fehler hatte wer anders begangen. Zudem kachelte Hugo die Küche selbst und baute den Küchenkamin mit der Dunstabzugshaube ein. Bis das alles fertig war, holte ich das Wasser für die Kaffeemaschine aus dem nahegelegenen Gäste-WC. Eines Morgens öffnete ich wieder mit der Kanne bewaffnet die Tür zum WC und setzte meinen Fuß, in Vorfreude auf eine Tasse dampfenden Kaffee zum Frühstück, im Dunklen in den Raum. Platsch! Ich stand im Wasser. Das Klo war übergelaufen, und nur die hohe Schwelle hatte bisher verhindert, dass das Abwasser auf das Parkett in die Wohnhalle floss. Wir gingen von einer Verstopfung irgendwo im Erdgeschoss aus. Vorerst durften wir natürlich weder Toilette noch Dusche benutzen. Hugo informierte seinen Vater, und der brachte einen Bekannten der Familie mit, der im Sanitärbereich arbeitete. „An welcher Stelle führt das Rohr nach draußen?“, fragte der Mann. Hugo erinnerte sich, dass es damals beim Bau direkt unter dem Hauseingang endete – dort musste sich also die Anschlussstelle zum Hauptrohr befinden, das dann wiederum im Abwasserkanal endete. Mit einem Presslufthammer rückte unser Bekannter der Stufe vor der Eingangstür zu Leibe. Und dann wurde es offenbar: Die Arbeiter hatten unseren Abfluss einfach zubetoniert, es gab gar keine Verbindung nach draußen! Kurz darauf ergoss sich eine stinkende Brühe in unseren Vorgarten. Das ganze Haus duftete nach Kloake. Ich nahm beide Töchter an die Hand und floh mit ihnen eine Straße weiter zu meiner Schwägerin. Das fehlende Verbindungsrohr wurde zwar erstaunlich schnell verlegt – doch noch heute hege ich eine tiefe Abneigung gegen das Gäste-WC.
Es spukte in unserem Haus! Atemlos beobachteten die Kinder und ich vom Sofa aus, wie der Beistelltisch wie von Geisterhand bewegt langsam nach oben schwebte. Gespannt gingen wir der Sache auf den Grund und stellten fest, dass das Parkett darunter eine verdächtig große Beule aufwies. Direkt hinter dem Tischchen befand sich ein mit einer eckigen Säule dekoriertes Abflussrohr, das aus dem Bad im ersten Stock herunterführte. Bei einer späteren Kontrolle zur Stabilität des Hauses in einem Erdbebengebiet, konnten wir übrigens in letzter Sekunde verhindern, dass der Experte es anbohrte, da er es für einen der hier üblichen Betonpfeiler hielt. Hugo wurde zu Hilfe gerufen. Fachmännisch besah er sich den Holzboden und löste die feuchten Teile heraus. Auch der Beton darunter war nass und musste mit einem geliehenen Presslufthammer aufgemeißelt werden. Bedauernd schüttelte mein Mann den Kopf: „Ich muss leider auch die Säule aufhauen.“ Das hatte ich befürchtet – wer weiß, was uns nun wieder erwartete! Spannend war es allemal! Gebannt schauten wir zu. Entrüstet besah mein Mann sich kurz darauf das freigelegte Stück Rohr: „Das Verbindungsstück hat einen Riss und sitzt auch gar nicht richtig auf dem Rohr! Es ist ja nicht zu glauben! Die haben uns einfach ein kaputtes Teil eingebaut!“ Er war zu Recht verärgert, denn nun konnten wir das Bad schon wieder nicht benutzen. Also musste er jetzt schnell zum Baumarkt, neue Teile besorgen und sie vom Fachmann gegen die unbrauchbaren austauschen lassen. Danach würde er das aufgequollene Parkett erneuern und anschließend die dekorative Säule wieder instand setzen.
Aus dem Buch ENDSTATİON ANATOLIEN
Auswandern? Mit fast vierzig Jahren und zwei schulpflichtigen Töchtern? Und noch dazu in den Orient? Christine Erdic hat es gewagt! Das Morgenland lockt mit bunten Basaren, leuchtenden Farben, einem unvergleichlich blauen Himmel und geheimnisvollen mondbeschienenen Nächten. Doch wie ist das wirkliche Leben hinter dem Schleier der Illusionen? Ein Buch, das das Leben schrieb!
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©byChristine Erdic
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Die deutsche Buchautorin Christine Erdic lebt zur Zeit hauptsächlich in der Türkei.
Beruflich unterrichtet sie in der Türkei Deutsch für Schüler (Nachhilfe), sie gab
Sprachtraining an der Uni und machte Übersetzungen für türkische Zeitungen.
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