Hamburg (ots) –
Nach mehrjährigen Ermittlungen hat die Berliner Staatsanwaltschaft Anklage wegen Bestechung und Untreue gegen zwei leitende Mitarbeiter der BarmerGEK aus Berlin und Wuppertal sowie wegen Bestechlichkeit und Beihilfe zur Untreue gegen einen früheren Vorstand der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Berlin erhoben. Das bestätigte der Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft, Martin Steltner, auf Anfrage des Ärztenachrichtendienstes (änd). Jetzt muss die zuständige Strafkammer am Landgericht Berlin entscheiden, ob sie die Anklage annimmt und ein Strafverfahren eröffnet.
Es geht um eine Menge Geld: Die Beschuldigten sollen zwischen Juli 2015 und November 2017 nach Ermittlungen der Staatsanwaltschaft einen Schaden von “mindestens” 85 Millionen verursacht haben. Denn nach einer Vereinbarung zwischen leitenden Mitarbeitern der BarmerGEK mit einem früheren Mitglied im Vorstand der Berliner KV sollen ärztliche Diagnosen, die niedergelassene Ärzte im Rahmen ihrer Honorarabrechnung bei der KV Berlin eingereicht haben, nachträglich geändert worden sein. Die Änderungen erfolgten demnach ohne Rücksprache mit den niedergelassenen Ärzten. Die BarmerGEK ist mit etwa 8,8 Millionen Versicherten nach der Techniker Krankenkasse (10,7 Millionen Versicherte) die zweitgrößte Krankenkasse in Deutschland.
Auf diese Weise sollen Patienten der BarmerGEK auf dem Papier durch schwerere Diagnosen kränker gemacht worden sein, die Kasse soll höhere Einnahmen aus dem Gesundheitsfonds erzielt haben. Dadurch könnte die BarmerGEK mehr Geld erhalten haben zu Lasten der übrigen Kassen. Denn für Alte und Kranke erhalten die Kassen mehr Geld aus dem Gesundheitsfonds, für Junge und Gesunde weniger. Für diese “technische Dienstleistung” – gemeint ist die nachträgliche Änderung der Daten – soll die KV Berlin von der BarmerGEK 250.000 Euro erhalten haben, weitere 500.000 Euro waren in Aussicht gestellt worden.
Aufgeflogen war die offensichtliche Schummelei mit ärztlichen Diagnosen Ende 2016 durch einen Bericht der Berliner BZ, der interne Unterlagen aus der KV Berlin vorlagen. Nur wenige Wochen nach den Presseberichten wurden Büros- und Privaträume der drei Beschuldigten sowie eines Mitarbeiters der KV Berlin durchsucht. Die BarmerGEK wies damals alle Beschuldigungen zurück. Es sei nur bei “zweifelsfrei unplausiblen Abrechnungen” dafür gesorgt worden, dass am Ende die “Abrechnungspositionen zu den Diagnosen passen”. Auch die KV räumt eine “Datenkorrektur” bei Abrechnungen ein, diese “nicht die gewünschte Konsistenz” aufwiesen, wies aber den Vorwurf zurück, die Patienten kränker zu machen.
Presseveröffentlichungen und Ermittlungen der Staatsanwaltschaft rief schon 2016 das Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS) auf den Plan. Die für bundesweite Krankenkassen zuständige Aufsichtsbehörde nahm die Vorwürfe unter die Lupe und wurde fündig: Vor einem Jahr übermittelte das BAS der Wuppertaler Zentrale der BarmerGEK für 2013 einen Rückzahlungsbescheid über 30 Millionen Euro. Wie eine Sprecherin der Behörde jetzt auf Anfrage des änd erklärte, wurde der BarmerGEK für 2014 ein weiterer Rückforderungsbescheid in Höhe von 66 Millionen zugestellt. Im Falle einer Rückzahlung wird das Geld in den Gesundheitsfonds fließen. Doch zunächst müssen Gerichte über die Klagen entscheiden, die die BarmerGEK Klage gegen die BAS-Bescheide eingereicht haben.
Damit ist das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht. Für die Folgejahre werden die “Korrekturbeträge” noch ermittelt, so eine BAS-Sprecherin. Somit dürfte die Bonner Behörde die Aktivitäten der Berliner Staatsanwaltschaft aufmerksam verfolgen.