So. Okt 6th, 2024

Traurige Erinnerungen kommen hoch – Lies hier mehr:

Veit Jensen war ein Bild von einem Gastwirt.

Den „Scharnhäuser Hof“ hatte Veit Jensen vor 16 Jahren gekauft. Jensen war der Sohn eines dänischen Vaters und einer deutschen Mutter, wurde jedoch in Lauban in Niederschlesien geboren. Sein Vater war Kapitän zur See und seit der Schlacht von Gibraltar verschollen. Veit war damals zwei Jahre alt. Seine Mutter führte einen kleinen Gasthof und brachte den Jungen mehr schlecht als recht durch. Obwohl er so gar keine Lust hatte, den Betrieb einmal zu übernehmen, lernte er dennoch nach dem Wehrdienst als Koch in einem Hotel auf Rügen. Zwei Monate vor der Gesellenprüfung sperrte man ihn für ein Vierteljahr ein. Er hatte im betrunkenen Zustand ein Kriegerdenkmal angepinkelt. Wie er im Prozess behauptete, hielt er das Ehrenmal für eine Hauswand. Das ersparte ihm jahrelanges Arbeitslager. Während dieser Zeit starb seine Mutter und er übernahm den Betrieb ohne Gesellenbrief.

„War mal wieder ein harter Tag heute.“, stöhnte er leise

„Wird höchste Zeit. Weißt du, Junge, ich werde im Oktober 65. Ich bin müde geworden. Hab mir ein paar Mark auf die Seite geschafft. Vielleicht, wenn ich den Schuppen hier gut los werde, setz ich mich bald zur Ruhe. Erzähl‘s ja nicht weiter“, lachte er. „Ich hab mich vor 4 Jahren in der Schweiz eingekauft. War da für 2 Wochen in den Bergen, weil ich keinen Menschen mehr sehen konnte und meine Ruhe haben wollte. War da auf einer Alm mit Fremdenzimmern und einer Senne. Hab mich sauwohl gefühlt.”

“Als ich im nächsten Jahr wiederkam, war die Wirtin in Trauer. Der Mann war kurz vorher an Krebs gestorben. Auf der Alm waren Schulden und der Bub ging noch zur Schule. Die Frau war verzweifelt. Wir haben lange geredet und dann war sie damit einverstanden, dass ich die Schulden ablöse und dafür einen Anteil von einem Drittel am Hof bekomme. Ich habe dann nach und nach die Zimmer richten und neu möblieren lassen, die Stube auf Vordermann gebracht und zwei Maschinen für die Käserei angeschafft. Im letzten Jahr haben wir dann einen kleinen Hofladen eingerichtet. Inzwischen gehören mir 50 Prozent des Hofes. Zwar noch als Kreditbrief, weil ich als Deutscher nicht in der Schweiz investieren darf. Aber bald werden wir heiraten und dann hat das Reich mich gesehen. Dann werd ich Senner und Zimmervermieter.“

Genüsslich trank er sein Glas leer.

„Auch noch eins?“, fragte er.

Ohne die Antwort abzuwarten, schenkte er zwei frische Gläser ein.

„Nein“, sagte er etwas traurig, „Anna und ich, das ist nicht die große Liebe. Ich habe den Tod meiner Doris nie überwunden.“

Die Erinnerungen kamen in ihm hoch und Tränen der Wut und Trauer standen in seinen Augen.

„Anna ist lieb und nett“, fuhr er fort, „mit ihren 48 noch ein junger Hüpfer und nicht übel anzuschauen. Aber heiraten werden wir nur der Sache wegen. Denke, damit sind wir ganz glücklich und zufrieden.“

Johannes lachte still.

„Glaub mir, Junge, ich werde einen verdammten Rosenkranz beten, wenn ich aus dem Land hier verschwinden kann. Du bist wirklich der Einzige in dem Laden hier, dem ich vertrauen kann, der keine Scheiße redet und dumm an mich ranquatscht.“

Johannes lachte in sich hinein. Seine Erinnerungen an seine verstorbene Frau hatte er schon fast vergessen. Wie oft hatte er Veit so reden hören. Veit war gebildet und belesen. Schiller zitierte er ebenso wie Schopenhauer und doch verstand er sich vortrefflich darauf, seine Rede stets mit einem Tupfer Fäkalsprache zu garnieren. Veit besaß die Weisheit eines querdenkenden Menschen, der, geprägt von der Einsamkeit, die Welt aus den verschiedensten Blickwinkeln zu betrachten wusste, um daraus dann seinen eigenen Zick-Zack-Kurs zu bestimmen. Das machte ihm Veit so sympathisch. Oft hatte er gelauscht, wenn Veit ihm vom Buddhismus erzählte, wohlwissend, aus welcher Familie Johannes stammte. Veit bezeichnete sich selbst als Atheist, hätte aber jedem Pfaffen in Sachen Bibelfestigkeit den Schneid abgekauft. „Ich kann nicht nein zu etwas sagen, von dem ich keine Ahnung habe.“, pflegte er stets zu sagen.

Über seiner Rede war die alte Wut über das Reich und sein Fußvolk wieder hereingebrochen. Er nahm tief Luft, trank einen Schluck und rauchte schweigend weiter. Dann ergoss er sich in Schwärmereien über die Schönheit der Schweizer Berge, die Qualität seines Käses und die Freundlichkeit der Schweizer. Es war Mitternacht, als er hinter Johannes die Tür schloss. Er würde am Sonntag die Messe besuchen, nahm er sich vor. Nicht etwa um zu beten. Nur um dem Orgelspiel von Johannes zu lauschen, dass ihn so oft dieser Welt hatte entrücken lassen.

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Dinah Jacobi
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Von indayi

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