Sa. Okt 5th, 2024

Köln (ots)

Darf ein Unternehmen es verbieten, während der Arbeit sichtbare religiöse Zeichen zu tragen? Diese Abwägungsfrage zwischen unternehmerischer Betätigungsfreiheit und individueller Religionsfreiheit muss der Europäische Gerichtshof entscheiden. Dessen Generalanwalt sprach sich am 25.2.2021 zugunsten der deutschen Religionsfreiheit aus. Arbeitsrechtler Prof. Dr. Michael Fuhlrott, Professor an der Hochschule Fresenius in Hamburg, gibt dazu eine Einschätzung.

Mit dem Bundesarbeitsgericht (BAG, Beschl. v. 30.1.2019 – 10 AZR 299/18 A) und dem Arbeitsgericht Hamburg (ArbG Hamburg, Beschl. v. 21.11.2018 – 8 Ca 123/18) haben gleich zwei deutsche Arbeitsgerichte den Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Entscheidung angerufen, ob das in der Grundrechtecharta verbriefte Recht auf unternehmerische Betätigungsfreiheit die Religionsfreiheit des einzelnen Arbeitnehmers überwiegt. Konkret geht es um die Frage, ob und wann Unternehmen Mitarbeiter*innen das Tragen von Kopftüchern und anderen sichtbaren religiösen Zeichen verbieten dürfen. “Es geht dabei um die schwierige Abwägungsfrage zwischen zwei geschützten Rechtspositionen: Religionsfreiheit des Einzelnen auf der einen Seite versus unternehmerischer Betätigungsfreiheit auf der anderen Seite”, so Prof. Dr. Michael Fuhlrott.

Bundesverfassungsgericht: Verbot nur bei konkreten Störungen

Das Grundgesetz schützt in Art. 4 die Religionsfreiheit und deren Ausübung. Ihr kommt eine besonders große Bedeutung zu. So hat das Bundesverfassungsgericht etwa 2015 ein generelles Verbot von Kopftüchern für Lehrerinnen als verfassungswidrig angesehen (Beschl. v. 27.1.2015 – 1 BvR 471/10 und 1 BvR 1181/10). Die Verfassungsrichter verlangen vielmehr eine konkrete Störung des Schulfriedens, um ein Kopftuchverbot zu rechtfertigen. Ähnlich urteilen deutsche Arbeitsgerichte: “Ein betriebliches Kopftuchverbot ist danach nur gerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber konkrete Störungen darlegen kann. Allein der Wunsch des Arbeitgebers nach betrieblicher Neutralität ist rechtlich nicht ausreichend”, erklärt Arbeitsrechtler Fuhlrott. So habe das BAG bereits im Jahr 2002 (Urt. v. 10.10.2002 – 2 AZR 472/01) zu Gunsten einer kopftuchtragenden Verkäuferin entschieden.

Europäisches Recht: Größeres Gewicht der Unternehmerinteressen

Die Sichtweise des EuGH war in der Vergangenheit hingegen unternehmensfreundlicher: So stellte dieser in einer Entscheidung aus dem Jahr 2017 (Urt. v. 14.3.2017 – C-157/15) fest, dass die Anforderung eines neutralen Auftretens ohne sichtbare religiöse Zeichen bei einer Mitarbeiterin im Empfangsbereich durchaus gerechtfertigt sein kann und keine religiöse Diskriminierung darstellt.

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