Sa. Mai 11th, 2024

Kriegerstaat Krisenkonferenzen Fritz Fischer

Das Institut der »Krisenkonferenzen«

im Juli 1914 berührte deutsche Reichspolitik Hohenfinow«, schrieb der Hohenfinower Ortschronist Schünemann. Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg machte Urlaub auf seinem Schloß in Hohenfinow. Da war Krieg längst beschlossene Sache. In seinem Buch »Deutsche Policy of Pretention Der Abstieg eines Kriegerstaates «, das 2010 in 2. Auflage erschien (BBP 11/2010), befaßt sich der Hamburger Historiker Dr. Bernd F. Schulte mit den Vorgängen, die zum Krieg führten, und der Rolle, die u.a. Bethmann Hollweg dabei spielte. Im abschließenden Teil geht es um das Institut der »Krisenkonferenzen« im Führungssystem des Deutschen Reiches und die Rolle, die Reichskanzler Bethmann Hollweg dabei spielte.

Kurz gesagt behauptet die traditionelle bundesdeutsche Geschichtswissenschaft, in Kontinuität und immer wieder neuer Formulierung (seit 1959), Die “Schuld” am Ersten Weltkrieg «spiele» kaum noch eine Rolle innerhalb der Forschung« (Große Kracht, 2004). Daß der Begriff der »Krisenkonferenzen« im Kaiserreich, den ich 1980 prägte, noch bis in die jüngste Zeit benötigte, um von eben diesem Teil der deutschen Geschichtswissenschaft akzeptiert zu werden, zeigt, wie wenig das Phänomen Erster Weltkrieg selbst heute noch in der Bundesrepublik verarbeitet ist. Worum geht es aber? Es handelt sich darum, die Röhl/Fischer/Schulte-These (1969) abzuschwächen, auf dem sogenannten »Kriegsrat« bei Wilhelm II., am 8. Dezember 1912, sei für einen Zeitpunkt in anderthalb Jahren der Erste Weltkrieg beschlossen worden. Bereits der Streit um die tatsächliche Auswirkung dieser Konferenz hoher Vertreter von Armee und Marine beim Kaiser (Tirpitz wurde umgehend benachrichtigt), legt wiederum offen, wie heiß umkämpft die deutsche Verantwortlichkeit für 1914 im Bewußtsein der Historiker nach wie vor ist. Mein großes Interesse an dieser Frage zeigt die Tatsache, daß ich bereits in der Dissertation (ich riskierte damit meine Note!) über die deutsche Armee von 1914 (1977) auf eine Unterredung zwischen dem Reichskanzler und dem Feldmarschall Colmar von der Goltz erstmals Bezug nahm, die in unmittelbarer zeitlicher Nachbarschaft zum 8. Dezember stattfand. Diese Unterredung kreiste, im Gefolge der türkischen Niederlagen im 1. Balkankrieg (Herbst 1912), um die Möglichkeit eines Präventivkrieges. Bestand doch das Bestreben der konservativen Historikerfronde vor allem um Wolfgang J. Mommsen darin, auf die Abwesenheit des Reichskanzlers im Beraterkreis bei Wilhelm li., und damit eine Nichtbeteiligung der Politik, hinzuweisen. Diese Argumentation widerlegte mein Buch »Vor dem Kriegsausbruch 1914«(1980), das die Auswirkungen der Balkankrise auf den »decision making process« (Entscheidungsprozeß) in den politischen und militärisch-strategischen Führungseliten in Berlin zum Gegenstand erhob. Bilden doch militärische Fragen, und der strategische Entscheidungskreis, den noch fehlenden »Schlußstein« der Fischerschen Argumentation.

Es wurde gezeigt, daß – durchaus im Sinne einer Kriegsvorbereitung nach dem Dezember 1912 – ausgreifende Maßnahmen technischer, personeller und funktionaler Art ergriffen wurden, die offensichtlich dazu führten, daß die deutsche Armee im Jahre 1913 nicht kriegsbereit war (Falkenhayn, 1913). Es wurden nämlich sämtliche Bereiche der Militärverwaltung von einer rasanten Aufrüstung (von der Konservendose bis zum Lederkoppel) ergriffen, was unmittelbar zu Engpässen führte. Quellen, die mir 1978 bekannt wurden, zeigen darüber hinaus, daß es sich im Umfeld der Kriegsentschluß-Problematik um ein breiter angelegtes Phänomen innerhalb der deutschen Führungsstruktur handelte. So wies ich bereits im Jahre 1983 auf eine »Krisenkonferenz« bei Bülow (Juni 1909) hin, die durch den möglicherweise unmittelbar bevorstehenden Krieg mit England veranlaßt war (Invasionsfurcht in England 1908). Es fällt auf, daß sich die Diskussion im Grunde um die gleiche Problematik wie am 8. Dezember 1912 bewegte. Arbeiten an meinem demnächst erscheinenden Buch über »Politik und Militär im Kaiserreich« förderten weitere »Krisenkonferenzen« zutage, die in nächster Nähe zu den übrigen Vorkriegskrisen stattfanden. Erste Ergebnisse dieser Forschungen führten zu der These vom »Institut der Krisenkonferenzen« in der deutschen Führungsspitze zwischen 1871 und 1914. Es handelte sich also ganz und gar nicht um etwas besonderes, wenn sich die Spitzen von Politik und Militär in Berlin zusammenfanden, um über die nächsten Schritte zu beraten, angesichts von Krisen mit Frankreich (1875), mit Rußland und Frankreich (1877/79), mit Rußland (1887/89) und schließlich wiederum mit Rußland (1908/09), und gegebenenfalls, England/Frankreich (1912/14). Die inhärente Brisanz des »Krisenkonferenz« -begriffs hat die bereitwillig von dem Begriff des »Kriegsrats« abgehende konservative Zunft offenbar übersehen. Es bildet sich, abgesehen von den Details der verschiedenen Krisenabläufe im einzelnen, ein ausgesprochen dichtes Bild einer regen Interdependenz innerhalb der deutschen Führungsspitze heraus. Und dies insbesondere zwischen den politischen und militärischen Ämtern. Von einer hochgradigen und vermeintlich strukturbedingten »Polykratie« (Düsseldorfer Schule) in der politisch-militärischen Führungselite des deutschen Kaiserreichs wie Mommsen immer wieder behauptet hat kann also, vor allem in Bezug auf die lebenswichtigen Fragen von Krieg und Frieden.

Dr. Bernd F. Schulte
Abteilung Geschichte & Zeitgeschehen

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