Do. Mrz 28th, 2024

„Dem Beschluss des Kabinetts muss ein Perspektivenwechsel zum gedanklichen Hürdenabbau folgen“

Material- und Fachkräftemangel, langsame Genehmigungsverfahren und eine aufwändige Planung: Viele Aspekte führen derzeit zu einer massiven Verzögerung beim Bau barrierefreier Infrastruktur. „Besonders bei den Bahnhöfen sehen wir momentan das Schneckentempo überaus eindrücklich“, beklagt der Leiter der Anlaufstelle „Beratung mit Handicap“, Dennis Riehle, in einer aktuellen Stellungnahme: „Es ist nicht so, dass das Geld fehlt. Das macht die Bundesregierung ja auch ganz aktuell mit ihrem Kabinettsbeschluss zum Ausbau der Bemühungen für mehr Barrierefreiheit deutlich. Viel eher hängen wir in einem immensen Investitionsstau fest und sehen kaum Fortschritte beim Errichten von behindertengerechten Projekte, gerade im Verkehrswesen. Ob an Bushaltestellen oder Bahnknotenpunkten: Rollstuhlfahrer, Nutzer von Rollatoren oder Frauen mit Kinderwagen sind auf sich selbst angewiesen, wenn sie von einem Gleis zum nächsten kommen wollen und kein adäquater Aufzug oder ebenerdiger Übergang zur Verfügung steht, ‚Kasseler Borde‘ fehlen oder das Fahrzeug keine Ausklapprampe hat“, ärgert sich der 37-Jährige, der ergänzt: „Auch in öffentlichen Verwaltungsgebäuden und in den Schulen kommen wir kaum nach, Treppen zu überwinden, Türen breit genug zu machen oder Geländer an allen Auf- und Abgängen zu installieren. Das ist ein riesiges Problem, das vernachlässigt wurde“, so Dennis Riehle.

„Auch größere Bahnhöfe haben bis heute nur Treppen, das ist ein Armutszeugnis für ein fortschrittliches und entwickeltes Land. Letztendlich hängt es aber auch an Finanzierungsfragen. Nicht selten wird zwischen Bahn, Verkehrsministerien und Kommunen über die Verteilung der Kosten gestritten. Während wir bei öffentlichen Neuerrichtungen mittlerweile über Standards verfügen, kommen wir beim Nachrüsten von Bestandsbauten kaum hinterher. Das gilt sowohl für Gebäude, aber auch für Bahnsteige und Anlegestellen an Häfen. Es ist doch erbärmlich, dass es richtigerweise Normen für die Breite von Aufzügen gibt, Fahrstühle selbst aber kaum in existierende Infrastruktur eingebaut werden“, erklärt der Sozialberater. „Uns erreichen so viele Beschwerden über Hürden in Verkehrsmitteln, an Haltestellen, in Verwaltungsgebäuden und auf den Straßen, dass man sich durchaus fragen muss, inwieweit wir das Nachholen von Barrierefreiheit verschlafen haben. Natürlich ist es angesichts der momentan überaus diffizilen Wirtschaftslage verständlich, dass andere Prioritäten gesetzt werden. Aber hätten wir nicht schon längst weiter sein müssen?“. Und nicht nur in der baulichen Infrastruktur hakt es: „Auch im hürdenfreien Zugang zum Gesundheitswesen – beispielsweise durch mehr strukturierte Präventions- und Versorgungsangebote für Behinderte –, oder zur Verwaltung gibt es erheblichen Nachholbedarf, exemplarisch im Blick auf die Nutzung leichter Sprache und entsprechender Schriftgröße bei Formularen oder Veröffentlichungen der Behörden. Gleichsam hat es das Bildungswesen nicht geschafft, durch verbindliche Nachteilsausgleiche gleichwertige Chancen zu schaffen“.

Riehle sieht die finanziellen Ressourcen vorhanden, doch es mangele an Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten: „Auch an den nötigen Gesetzen fehlt es uns nicht. Viel eher schieben wir eine aufgestaute Liste an Aufgaben im barrierefreien Ausbau vor uns her, weil Planer nicht hinterherkommen und mit anderen Vorhaben befasst sind. Doch es genügt nicht, dass Bauträger die notwendigen Nachweise über eingehaltene Maßgaben vorbringen. Jahrzehnte interessierte nicht, ob ohne Hürden gebaut wird. Und das müssen wir jetzt ausbaden“, sagt Riehle – und ergänzt abschließend: „Wenn wir die angelaufenen Investitionen nun abarbeiten wollen, sollten wir uns am Bedarf orientieren. Vorrang muss Barrierefreiheit an der Verkehrsinfrastruktur, Schulen, Rathäusern und Gehwegen haben. Daneben gilt es, Unternehmen in die Pflicht zu nehmen: Wo in Betrieben noch Schwellen existieren und behinderten Angestellten das Arbeiten erschweren, muss der Rechtsanspruch auf Hürdenlosigkeit durchgesetzt und möglichst rasch realisiert werden. Denn da kann manch andere Innovation hinten anstehen, wenn es zunächst darum geht, Partizipation von Personen mit Handicap in allen Daseinsbereichen als unbestreitbares Menschenrecht schnell zu ermöglichen“. Hierfür sei es dringend erforderlich, Partizipation von Personen mit Handicap von der Planung bis zur Umsetzung von Projekten zu stärken und auch über die Beteiligung der Verbände hinaus die Expertise von einzelnen Behinderten einzubeziehen. Immerhin können nur Betroffene einen authentischen Blickwinkel einbringen, der gesunden Bevölkerungsteilen und der Politik nicht selten verschlossen bleibt“, so Riehle.

Die Anlaufstelle „Beratung mit Handicap“ ist bundesweit kostenlos für jeden Hilfesuchenden mit und ohne Behinderung unter der Webadresse www.beratung-mit-handicap.de erreichbar. Der Datenschutz und die Verschwiegenheit werden hierbei gewährleistet. Es findet lediglich eine allgemeine Sozialgesetzaufklärung statt, tiefergehende Einzelfallbewertungen sind Anwälten vorbehalten.

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