Fr. Apr 26th, 2024

Unterschiede und Gemeinsamkeiten mit einer Depression sind nicht immer offensichtlich

Viele bezeichnen es als ein neuzeitliches Phänomen, das in Wahrheit gar nicht existiere. Andere wiederum beharren darauf, dass man es keinesfalls vernachlässigen könne: Die Diskussion um das sogenannte „Burnout-Syndrom“ schwelt in der Moderne besonders deshalb, weil insbesondere die veränderten Arbeitsbedingungen und ein massiv gewandeltes Verständnis von Erfolg und Leistung unsere Gesellschaft komplett neu geprägt haben. Schon die Philosophen haben attestiert, wonach der Gedanke der Funktionalität des Menschen seit Mechanisierung, Industrialisierung, Technologisierung und Digitalisierung enorm an Zulauf gewonnen hat. Unbestritten ist: Wir brauchen Ablenkung, weil wir in Langeweile nicht existieren können. Doch es kommt auf die Ausformung der Arbeit an, weil wir nur dann möglichst produktiv sind, wenn wir uns größtmöglich entfalten können. Je mehr wir durch Regeln, Grenzen und Vorschriften eingeengt werden, umso mehr leidet darunter das Resultat unseres Tuns.

Aber nicht nur das: Konvention, Restriktion und Repression haben auch maßgeblichen Einfluss auf unser psychisches Wohlbefinden – was letztlich ja auch in unmittelbarem Zusammenhang zur Ergebnisqualität unseres Arbeitens steht. Je freier wir wirken können, desto motivierter und kreativer sind wir schlussendlich. Doch auch wenn man meinen sollte, dass sich die Arbeitsbedingungen in einer kultivierten Welt verbessert haben, steigt die Zahl derjenigen Menschen, die sich vom Job überfordert fühlen, immer weiter an. Während die körperliche Belastung in der Arbeitswelt stetig zurückgeht, mehren sich die psychischen Stressoren rasant. Der Individualismus trägt erheblich zu Mobbing, Missgunst und Neid am Arbeitsplatz bei. Transhumanistische Einflüsse lassen die unternehmerischen Zielsetzungen immer weiter klettern. Und nicht zuletzt fordern immer komplexer werdende Prozesse eine kaum mehr machbare Anpassung. Insofern ist der Mensch im Endeffekt einem wachsenden Druck an unterschiedlichsten Faktoren ausgesetzt, dem unsere Psyche trotz evolutionären Fortschritts nicht mehr Genüge tragen kann. Sie tritt immer häufiger in einen Streik, der sich erkennbar in den fulminant ansteigenden Krankheitstagen aufgrund von seelischen Störungsbildern abbilden lässt.

Eine wirkliche Würdigung dieses Belastungszustandes erfahren viele Betroffene nicht, weil bis heute Burnout keine tatsächliche Anerkennung als ernstzunehmende Erkrankung erfährt. Dieser Ansicht ist zumindest der Psychosoziale Berater des Bundesverbandes Burnout und Depression, Dennis Riehle: „Dabei besitzt es aus meiner Sicht einen Krankheitswert, der es nötig macht, fachkundig einzugreifen. Tatsächlich scheint mir auch die Unterscheidung zu einer affektiven Erkrankung weiterhin sinnvoll, selbst wenn viele Experten meinen, es handele sich beim ‚Ausgebranntsein‘ lediglich um eine beschönigende Beschreibung einer latenten Depression. Vergleicht man nämlich die Symptome, deren Ausprägung und deren Auftreten, so gelangt man doch zum Schluss: Offenbar liegen bereits aus Gründen der Intensität, der Psychodynamik und des Verlaufs verschiedene Krankheitsbilder vor, die entsprechend differenziert zu bewerten sind und daher auch einer jeweils anderen Behandlung bedürfen. Für viele Betroffene ist es dennoch sehr schwierig, ihre Beschwerden richtig einzuordnen. Nicht selten wird dadurch auch eine notwendige Therapie verschleppt, welche für die weitere Genesung allerdings von herausragender Bedeutung ist“.

Riehle führt hierzu aus: „Stellt man die beiden Erkrankungen einander gegenüber, lassen sich markante Unterscheidungsmerkmale auftun. So gelten für ein ‚Burnout‘ beispielsweise:

– Temporäre Abgeschlagenheit
– Rastlosigkeit und Anspannung
– Primäre Erschöpfung, die sich insbesondere auf die Emotionalität bezieht
– Verminderte Leistungsfähigkeit, die sich zumeist auf das berufliche Pensum auswirkt
– Weniger starke Beeinträchtigung der häuslichen Alltagsbewältigung
– Rasch fluktuierende Symptomatik, die vornehmlich den psychosomatischen Bereich betrifft
– eine veränderte Gefühlswelt drückt sich vorrangig in einem Depersonalisationsempfinden aus
– Unzufriedenheit, Fremdvorwürfe und Drang nach Anerkennung
– Zumeist oberflächliche Langeweile, Initiativlosigkeit, Gleichgültigkeit
– Interesse an Hobbys, Freizeitaktivitäten und Sexualität ist vorhanden, aber vermindert
– Ursachen sind zumeist fokussierte Probleme am Arbeitsplatz, in Familie und Privatleben
– ‘Ausgebranntsein’ ist zeitlich begrenzt und zumeist nicht rezidivierend
– usw.

Hinweise, die dagegen für eine Depressionserkrankung sprechen können, sind unter anderem:

– Sekundäre Antriebslosigkeit
– Meist unerklärliche physische Schwere und seelische Erschöpfung
– Somatoforme Symptome sind höchstens begleitend
– Körperliche Beschwerden treten gegenüber den psychiatrischen in den Hintergrund
– Episodisches Auftreten von zumeist langanhaltender Dauer
– Perspektivlosigkeit, kreisende Gedanken und innerliche Zermürbtheit
– Schuldgefühle, Selbstvorwürfe und Hadern mit der persönlichen Lebenssituation
– (Zukunfts-)Angst, Panik, Apathie, sozialer Rückzug und Abschottung
– Ungewollte Vernachlässigung von Alltagsaufgaben und Tagesstrukturen
– Abstumpfung und Rückgang positiver Emotionen
– Umschwung in Traurigkeit und Weinerlichkeit
– Auslösefaktoren sind nicht erkennbar oder global-abstrakter Natur
– Nachlassender Appetit, Desinteresse an Hobbys und Freizeitgestaltung
– Störungen im Tag-Wach-Rhythmus, Schlafschwierigkeiten
– etc.

„Die Aufzählung zeigt: Beide Störungsbilder sind von einer mannigfaltigen Symptomatik geprägt. Insofern wäre es verantwortungslos, das oftmals so belächelte ‚Burnout‘ nicht ernst zu nehmen. Nachdem es vor allem auf exogenen Beweggründen basiert, kommt seiner psychotherapeutischen Intervention eine besondere Rolle zu: Nicht zuletzt führen einseitige Glaubenssätze dazu, dass sich eine Anspruchshaltung an das eigene Selbst stilisiert, die in der kritischen Reflexion nicht erfüllbar sein kann. Darum muss die kognitive Verhaltenstherapie bei dieser Erkrankung auch weiterhin das Mittel der ersten Wahl bleiben, indem sie dem Betroffenen hilft, seine eigenen Überzeugungen wieder mit einer realistischen Weltsicht abzugleichen – und sich schlussendlich zu verändern. Dagegen bedarf es aufgrund der – in der Regel – Endogenität der Depression eines besonderen Augenmerks auf die psychiatrisch-neurologisch-internistische Betrachtung, welche aber nicht alleinstehen darf. Ihre nicht selten komplizierte Genese erfordert regelhaft eine intensive Auseinandersetzung mit biografischen Auslösefaktoren und eingeschliffenen Persönlichkeitsstrukturen, weshalb bei ihr gleichermaßen systemische und analytische Herangehensweisen in Erwägung gezogen werden sollten“, erklärt Thomas Grünschläger, 1. Vorsitzender des BBuD e.V. abschließend und ermutigt Betroffene, sich rechtzeitig professionelle Hilfe zu holen.

Die Psychosoziale Mailberatung des BBuD und weitere Angebote finden sich auf der Webseite: www.bvbud.de.

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